: Zwangsabschiebung trotz Asylantrags
■ Vietnamesischer Asylbewerber mußte zurück nach Vietnam/ Anwalt will Strafanzeige wegen Verschleppung und Freiheitsberaubung stellen
Berlin. Obwohl kein Flüchtling abgeschoben werden darf, bevor sein oder ihr Asylantrag geprüft und abgelehnt wurde, ließ die Ausländerbehörde einen vietnamesischen Asylbewerber zwangsweise nach Vietnam verfrachten. Die Anwaltskanzlei des Betroffenen will die verantwortlichen Beamten deshalb nun wegen Verdachts auf Verschleppung und Freiheitsberaubung anzeigen.
Die Geschichte: Der 42jährige Vietnamese Chuyen T. H. hatte mit seiner Ehefrau eine Weile lang in Ost-Berlin als DDR-Vertragsarbeiter gelebt, bis er nach Vietnam zurückkehrte und dann aber zwei Tage nach dem Mauerfall wieder zu seiner Frau in die DDR einreiste. Danach lag er schwerkrank ein Jahr lang in der Klinik. Nachdem — nunmehr in der Bundesrepublik — sein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden war, stellte er am 9. Juni dieses Jahres über das Anwaltsbüro Hartmut Lierow und Veronika Arendt-Rojahn einen Asylantrag. Die Bestätigung dafür und die Einladung zu einer persönlichen Vorsprache bei der Ausländerbehörde ging gestern in der Anwaltskanzlei ein.
Da aber war Chuyen T. H. schon längst an einem unbekannten Ort in Vietnam, ohne Geld, ohne Habe, angetan nur mit den Kleidern, die er am Leib trug. Am vergangenen Donnerstag mittag öffnete er arglos den von der Ausländerbehörde ausgeschickten Polizisten die Tür. Da sie am Morgen ihr Kommen angekündigt hatten, hatte er sogar noch die Wohnung aufgeräumt und Getränke bereitgestellt. Als er ihnen Dokumente aushändigte, seinen Asylantrag betreffend, sollen sie ihm erklärt haben, man wolle jetzt dort im Amt die Asylsache klären. Martina Ernst, Pressesprecherin der Innenbehörde, konnte sich das jedoch nicht vorstellen: »Wenn unsere Polizisten das Wort Asyl hören, schieben sie nicht ab.« Fakt ist indes, daß sie den Vietnamesen zum Flughafen verfrachteten, ohne sich weiter bei seinem Anwalt zu erkundigen. Im Flugzeug nach Frankfurt schrieb er noch einen verzweifelten Brief an seine Frau.
Sie, die hier als Übersetzerin arbeitet, hatte ihn nach Darstellung der AnwältInnen noch beruhigt: »Keine Sorge, Deutschland ist ein Rechtsstaat.« Sie glaubte, er werde in ein Sammellager gebracht. Um sich nach seinem Verbleib zu erkundigen, rief sie gegen 15 Uhr im Anwaltsbüro an. Das wiederum versuchte per Telefon und Fax die Ausländerbehörde zu kontaktieren — und scheiterte am Dienstschluß. Erst am Freitag erfuhren die geschockten AnwältInnen von der Abschiebung. Ein Asylantrag sei in seiner Ausländerakte nicht zu finden gewesen, so eine Mitarbeiterin des Referats Abschiebung. Dabei hatte die Kanzlei im Asylantrag extra auf die bestehende Ausländerakte hingewiesen. Jetzt fragen sie sich, ob es Schlamperei oder sogar Absicht war, »wenn ein Asylantrag eines Ausländers innerhalb von vier Wochen innerhalb einer Behörde nicht zur richtigen Akte gelangt.«
Das Schicksal von Chuyen T. H. nach seiner Ankunft in Vietnam ist nicht bekannt. »Dem wird es schlecht ergehen«, befürchtet ein Ausländerexperte, der sich in den dortigen undemokratischen Verhältnissen auskennt. Ute Scheub
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