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Joseph Goebbels' Tagebücher sollen die Auflage in die Höhe treiben

Der Schatz, Goebbels' Tagebücher von 1924 bis 1945, lagerte seit 1945 in Moskauer Archiven/ Vor einer Woche begann das Wettrennen um die Veröffentlichung in England  ■ Von Ralf Sotscheck

Berlin (taz) — DerZweite Weltkrieg übt auf die englische Öffentlichkeit nach wie vor eine tiefe Faszination aus. Kein Wunder also, daß die Sunday Times blitzschnell reagierte, als ihr Ende Mai die kompletten Tagebücher des Nazi-Propagandaministers Joseph Goebbels angeboten wurden. Diesmal bestanden kaum Zweifel an der Echtheit der Aufzeichnungen — auf die gefälschten Hitler-Tagebüchern war das Blatt Anfang der achtziger Jahre hereingefallen. Die Tagebücher, die der Sunday Times nun angeboten wurden, umfassen den Zeitraum von 1924 bis zum 29. April 1945 — zwei Tage, bevor Goebbels und seine Frau ihre sechs Kinder töteten und danach Selbstmord begingen.

Der einzige Nachteil: Es war David Irving, der die Tagebücher anbot. Der 54jährige, der sich selbst als „revisionistischer Historiker“ bezeichnet, ist bei seriösen Wissenschaftlern längst diskreditiert. 1977 veröffentlichte er sein Buch „Hitlers Krieg“, in dem er behauptete, die Judenvernichtung sei gegen Hitlers ausdrücklichen Befehl geschehen. Seitdem hat sich seine Position gewandelt. Er sagt nun, der Holocaust sei eine Propagandalüge, und die Gaskammern seien von der polnischen Regierung nach dem Krieg als „Touristen-Attraktion“ gebaut worden. Bei einer Pressekonferenz vor drei Jahren in Dublin behauptete er, Hitler habe „bis zuletzt seine schützende Hand über die Juden gehalten“.

Sunday Times-Herausgeber Andrew Neil setzte sich gegen seine Chefredaktion durch, die Bedenken gegen den rechtsextremen „Historiker“ angemeldet hatte. Neil sagt, man benutze Irving lediglich als „Techniker“ für die Transkription der Tagebücher. Dieser sieht das freilich anders: Er sei nicht nur für die Transkription und Übersetzung zuständig, sondern auch berechtigt, die Tagebücher in der Zeitung zu kommentieren.

Wie ist er überhaupt an die Tagebücher herangekommen? Der britische Independent berichtet, Irving habe Anfang des Jahres „gehört, daß die gesamten Tagebücher auf Glasplatten im russischen Staatsarchiv in Moskau gespeichert“ seien. Irving selbst hat angedeutet, daß er diese Information von Elke Fröhlich vom Münchner Institut für Zeitgeschichte bekommen habe. Sie bestreitet das jedoch: „Warum hätte ich ihm von den Glasplatten erzählen sollen? Ich werde doch wohl kaum meine eigene Arbeit zerstören wollen.“ Fröhlich, die Herausgeberin der Goebbels-Tagebücher von 1924 bis 1941, war bereits im März nach Moskau gereist, wo man ihr im Staatsarchiv eine Kiste zeigte. „Ich sah auf den ersten Blick, worum es sich dabei handelte“, wird Fröhlich im Independent zitiert. „Hunderte von Glasplatten, auf die Goebbels seine Tagebücher und seine Korrespondenz übertragen hat. Fröhlich versuchte, im Auftrag des Münchner Instituts einen Vertrag mit dem russischen Staatsarchiv über die Tagebücher abzuschließen. Doch erst im Juni flog ihr Chef Horst Möller zur Vertragsunterzeichnung nach Moskau.

In der Zwischenzeit hatte Irving seinen Coup freilich bereits gelandet. Im Mai reiste er mit dem Sunday Times- Journalisten Peter Millar nach Moskau. Millar, einst Korrespondent einer Nachrichtenagentur in Moskau, stellte Irving im Staatsarchiv als „berühmten Historiker“ vor. Vladimir Tarassov, der Chef der Abteilung für internationale Beziehungen des Staatsarchivs, wollte zunächst in München nachfragen, ob man damit einverstanden sei, daß Irving Teile der Tagebücher kopiert. Irving wandte daraufhin nach eigenen Angaben ein, er sei überrascht, daß Tarassov offenbar bereit sei, „ausgerechnet die Deutschen darüber entscheiden zu lassen, wem er sein Archiv zeigt“. Man kam schließlich überein, daß Irving zwei Platten mit insgesamt 90 Seiten kopieren und veröffentlichen dürfe. Statt dessen nahm er jedoch weit mehr Glasplatten mit und ließ sie in Deutschland kopieren. Im Gegenzug überließ die Sunday Times dem Staatsarchiv ein Mikrofilm-Lesegerät im Wert von umgerechnet gut 7.000 Mark.

Inzwischen hatte sich die Geschichte herumgesprochen, nachdem der Independent-Korrespondent Peter Pringle den „berühmten Historiker“ in Moskau entdeckt und bis zum Staatsarchiv verfolgt hatte.

Als Pringles Bericht am 3. Juli erschien, geriet Times- Herausgeber Neil ins Kreuzfeuer der Kritik. Irving hatte nämlich behauptet, das Honorar spiele für ihn keine Rolle — viel wichtiger sei ihm das Prestige, das ihm die Entdeckung und Bearbeitung dieses „wichtigen historischen Materials“ einbringe. Aufgrund des Medienwirbels, den Pringles Artikel auslöste, entschloß sich die Sunday Times, mit der Veröffentlichung der Tagebücher bereits am vergangenen Sonntag zu beginnen — Monate früher als ursprünglich geplant. Dennoch ging der Coup daneben.

Die Daily Mail hatte den ersten Teil der bisher unbekannten Tagebücher bereits am Freitag vergangener Woche abgedruckt. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte hatte dem Blatt das Material überlassen. Aus Rache? „Wir haben keinen Grund, gut über Irving zu denken“, sagt Horst Möller. „Aber auf keinen Fall war das ein Akt der Rache.“ Inzwischen rennt auch der Daily Express dem russischen Staatsarchiv die Türen ein. Die Daily Mail hat 50.000 Mark für die Rechte an die Goebbels-Erben überwiesen. Das Staatsarchiv in Moskau hat keinen Pfennig erhalten. Das Mikrofilm-Lesegerät hat man an die Sunday Times zurückgeschickt.

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