piwik no script img

Die Medizin ist selber krank

■ Alternativmedizin in „Zündstoff: Patient gesucht“, heute, 22.15Uhr, ZDF

Sanft, natürlich, ganzheitlich, gar holistisch: Versehen mit der Aura der Wunderheilkraft ziehen die Vertreter der „alternativen Medizin“ gegen die Schulmedizin zu Felde. Und dies keineswegs ohne Erfolg. Cranio-Sacral-Therapie, Enzym- oder Mora-Therapie, Bocom-Therapie: Das Geschäft mit der Gesundheit hat Hochkonjunktur.

Vor dem Hintergrund der kritischen Studie von Krista Federspiel/ Vera Herbst „Die andere Medizin“ (Stiftung Warentest), die im letzten Jahr große Wellen geschlagen hatte, geht ZDF-Autor Peter Treppner in seinem Report konkreten Fällen nach: Ein Arzt hatte etwa bei einer Patientin Aids diagnostiziert, überdies Nierentuberkulose und ein Dutzend weiterer Erkrankungen. Diagnosemethode: Spagyrik, ein Konzept aus dem Mittelalter, bei dem aus destilliertem und veraschtem Blut (wahlweise auch Harn oder Kot) eines Patienten Schlüsse gezogen werden. Selbstredend war die Diagnose falsch: Die Patientin erlitt einen Nervenzusammenbruch. Oder: Das Ehepaar Ursula und Christoph N. leidet nach einer mißlungenen Ozon- Therapie seit über einem Jhr an schwerer Leberinfektion (HepatitisC).

Der Jahresumsatz der alternativen Medizin (Treppner: „Die Spannbreite reicht von Akupunktur bis Astromedizin“) liegt bei rund zwölf Milliarden Mark. Der Nutzen der jeweiligen Verfahren steht hierzu in keinem Verhältnis: Die Marburger Rechtsmedizin-Professorin Irmgard Oepen hat 78 alternative Diagnose- und Heilverfahren untersucht: Lediglich 17 davon sind bedingt empfehlenswert — in erster Linie deshalb, weil sie, wie etwa die Homöopathie (als Placebo) weiter keinen Schaden anrichten können.

Obgleich kaum eine der „alternativen“ Methoden einer ernsthaften Überprüfung standhalten kann, suchen immer mehr Menschen gerade in solchen Verfahren ihr Heil. Weshalb? ZDF-Autor Treppner (selbst Mediziner) spricht wohl etwas klischeehaft von der sterilen High- Tech-Apparatur der Schulmedizin, die viele Menschen verunsichere und abschrecke. So unrecht hat er aber nicht: Wie Krebsspezialist Prof. Gallmeyer betont, ist vor allem die psychische Komponente ausschlaggebend für einen Heilerfolg. Der Patient will nicht wie am Fließband abgefertigt werden, sondern will, daß sein Arzt Zeit für ihn hat, ihm wirklich zuhört.

„Ganzheitlichkeit“, wie sie die „Alternativ-Mediziner“ versprechen, hört sich da gut an. Die Schulmedizin muß sich des „menschlichen Kontaktes besinnen, will sie nicht der Scharlatanerie Tür und Tor öffnen“. Colin Goldner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen