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Roman B. warf ihn weg und lachte

■ Es spukt: Mysteriöse Kettenbriefe lassen die Wahl zwischen Glück und Grauen

Die Drohung ist unmißverständlich: „1967 erhielt Roman B. diesen Brief. Er warf ihn weg und lachte darüber. Ein paar Tage später verlor er bei der Geburt seines Sohnes seine Frau. Sein Sohn kam krank zur Welt.“

Den Empfängern solcher Kettenbriefe wird aufgegeben, 20 Kopien von dem Schreiben zu verschicken. „Aus keinem Grund darf die Kette unterbrochen werden“, raunt es, „vergiß nicht, schicke kein Geld, signiere nicht!“ Der unbekannte Briefschreiber beruft sich auf ein „chinesisches Gebot“, das — wenn es erfüllt wird — Glück bringen soll.

„Vor allem ältere Menschen werden von solchen Briefen völlig beunruhigt“, sagt Wilhelm Knackstedt, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche Hannovers, der sich wegen der glaubensähnlichen Inhalte mit diesen Schreiben beschäftigt. Das Muster ist immer das gleiche: Im Auftrag einer höherstehenden Macht soll der Empfänger die „Botschaft“ weiterleiten, was ihm Glück bringen soll. Finanzielle Interessen gibt es nicht. Falls die Kette unterbrochen wird, wird mit Schicksalsschlägen gedroht.

Vielen ist das rätselhafte Motiv der Kettenbriefverfasser unheimlich. „Sogar ein Hochschulprofessor aus Braunschweig hat mir gestanden, daß er sich nicht getraut hat, den Brief wegzuschmeißen, sondern Kopien angefertigt und verschickt hat“, berichtet Knackstedt. In einer Gemeinde waren gleich mehrere Mitglieder von den anonymen Briefen so beunruhigt, daß der 55jährige empfahl, die Briefe beim gemeinsamen Gottesdienst zu vernichten.

„Für uns sind diese Schreiben kein Thema, weil es sich nicht um einen Straftatbestand handelt“, sagt Helge Röhrborn, Kriminaloberkommissar beim Landeskriminalamt. „Diese Schreiben setzen auf den Aberglauben der Leute. Wir können aber unsere Ermittlungen nicht mit Unglücksdrohungen begründen.“

Wer hinter diesen Kettenbriefen steckt, wissen weder Polizei noch Kirche. „Gruppen aus dem Umfeld esoterischer Bewegungen, Leute die an Sternzeichen, New Age und so weiter glauben. Vielleicht auch nur geschmacklose Spaßmacher“, vermutet Knackstedt. Es gibt auch Kettenbriefe, die vermutlich von Rechtsextremisten aufgesetzt wurden. „In Berlin ist einer aufgetaucht, den angeblich Reichsführer SS Heinrich Himmler ausgelöst haben soll“, sagt Röhrborn. In dem Schreiben, das die Nazis verherrlicht, steht: „Dieser Brief muß um die Welt kreisen. Deutschland wird solange nicht zugrunde gehen, als es den Glauben behält an seine große weltgeschichtliche Sendung.“

Polizei und Kirche berichten übereinstimmend, daß die Kettenbriefe periodisch Konjuktur haben. Mal sind sehr viele im Umlauf, mal nur wenige, sagt Röhrborn. Jedenfalls scheint das anonyme Kettenbrief-System zu funktionieren. Ein ähnliches Verfahren wurde 1991 — für einen guten Zweck — bei einem krebskranken britischen Jungen angewandt: Die Briefempfänger sollten Genesungswünsche an den damals Zwölfjährigen senden, damit er ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen wird. Der Junge erhielt 33 Millionen Postkarten.

Manchmal sind die Kettenbriefe auch nur schlicht albern. „Mein Sohn Andreas hat mal einen dieser Briefe erhalten mit der Aufforderung, Unterhosen weiterzuschicken“, erzählt Knackstedt schmunzelnd. Hans-Edzard Busemann (dpa)

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