: Drei bis vier Grad Celsius
Heute startet „Batman Returns“ ■ Von Thierry Chervel
Max Shreck schmeißt seine Sekretärin aus dem Fenster. Sie war seinen Machenschaften auf die Spur gekommen. Zwanzigster Stock. Sie fällt, sie schreit, die Kamera fällt mit. Sie landet im Schnee. Mausetot. Katzenfutter. Orgel, große Musik. Eine Katze beißt ihr in den Finger, saugt ein bißchen Blut, eine andere leckt ihr Gesicht, gibt ihr einen Zungenkuß. Da schlägt sie die Augen auf. Selina Kyle wird Catwoman. Sie geht in ihre Wohnung zurück — diese traurige Sekretärinnenidylle —, dreht ihre Kuscheltiere durch den Fleischwolf, näht sich ein schwarzes Kostüm und bewegt sich fortan in Flickflacks von der Stelle.
Auch Pinguin ist ein Wiedergänger. Die Eröffnungssequenz des Films zeigt, wie Pinguins Eltern, die reichen Cobblepots, das kleine Monster samt Kinderwagen ins städtische Abflußsystem entsorgen. Das war Weihnachten vor 33 Jahren. Alistair Chesterfield Cobblepot war mit Schwimmhäuten statt Fingern zur Welt gekommen und fraß mit Vorliebe Katzen. Sein Kinderwagen treibt in die Arctic World des alten städtischen Zoos, ein terrain vague, das kein Menschenkind betritt. „Echte Schwarzfuß- und Kaiserpinguine“ (so das Presseheft) nehmen Cobblepot in Empfang und ziehen ihn auf. 33 Jahre danach werden er und seine böse Clownstruppe die Stadt in Angst und Schrecken versetzen. Wieder weihnachtet es, und immer ist Nacht in der Stadt.
Daß Batman selbst ein Wiedergänger ist, seit seine Eltern gemeuchelt wurden, bedarf keiner näheren Erläuterung. Batman returns, Bruce Wayne bleibt und sieht fern in seinem Schloß am Rande der Stadt.
Max Shreck, der skrupellose Geldmann, der den Bürgermeister und die Stadt in der Hand hat, ist auf subtilere Weise ebenfalls ein Wiedergänger: Max Schreck war der Name des Schauspielers, der bei Murnau den Nosferatu spielte. Ein Blutsauger, Untoter auch er.
Vier Wiedergänger also, krankhaft ehrgeizig, besessen vom Guten oder Bösen, echte Selfmademen und -women, angetrieben von einer elenden, unverarbeiteten Vergangenheit, und die vor allem eines eint: eine grenzenlose Herrschsucht und Zerstörungswut. Ein interessantes Porträt des amerikanischen Charakters — in einem Amerika, wo es nie hell und warm wird. „Batman Returns“ ist ein tiefgefrorener Film. „Gotham Plaza“, so brüstet sich das Presseheft, „wurde wie alle anderen Außenkulissen innerhalb der Studiohallen mit einer riesigen Klimaanlage auf drei bis vier Grad Celsius abgekühlt.“ In diesem Film sieht man den Atem. Die Pinguine müssen sich wohlgefühlt haben.
Gotham City heißt die Stadt im Innern des großen Kühlschranks, eine bizarre Agglomeration von Art déco und faschistischer Architektur und High-Tech — irgendwie klamm, feucht, verschmiert. Geduckt hasten die Leute durch die Straßen. Die Männer tragen Stetson-Hüte, manche haben Weihnachtsgeschenke unterm Arm. Schütter ist die Menge bei den Ansprachen des Bürgermeisters auf der Gotham Plaza. Wer sich auf die Straße begibt, läuft Gefahr, von den Akrobaten des Pinguins auf höhnisch-virtuose Art niedergemetzelt zu werden.
Aber die gewöhnlichen Menschen spielen keine Rolle in dem Film. Sie individualisieren sich nicht, höchstens mal als angsterfüllte Fratze. Sie sind Manövriermasse in einem für sie undurchschaubaren Spiel. Um ihr Schicksal geht es etwa so symbolisch wie im Schach ums Schicksal der Figuren. Sie sind bloß Objekte — des Terrors und der Rettung.
Die wichtigsten Auseinandersetzungen finden darum auch nicht auf menschlicher Ebene statt, sondern drunter und drüber. Die Straße ist nur das Glacis, wo sich die vier Protagonisten zum Klang von David Elfmans ungeheurem Symphonieorchester aufwärmen. Sie führen ihre Kunst vor. Shreck flüstert seiner Marionette, dem Bürgermeister, ins Ohr, wenn dieser auf der Rathaustreppe Basisdemokratie simuliert, Catwoman betätigt sich mit Krallen und Peitsche als Schutzpatronin der bedrängten Frauen, Batman präsentiert wieder und wieder sein Raketenauto und dessen neueste Zubehörteile, und Pinguin läßt eine riesige mit Explosivstoffen bewehrte Armee echter Schwarzfuß- und Kaiserpinguine aufmarschieren.
Aber diese Action auf der Straße ist nur der sichtbare Ausdruck dessen, was eigentlich im Zentrum steht: das Spannungsgeflecht zwischen den vier Exzentrikern, die eher drunter und drüber residieren — in der Kanalisation und „Arctic World“, wo Pinguin sich mittels einer getunten gelben Gummiente fortbewegt, und auf den Dächern von Gotham City, wo Catwoman ihre hinreißende Geschmeidigkeit unter Beweis stellt. Hier fallen die Entscheidungen.
Erhellender als die Action-Szenen sind die intimen Momente zwischen den vier Kontrahenten. Der Film resümiert sich weniger in einer Handlung als im gewissermaßen mathematischen Durchspielen dieser Viererkonstellation. Ein Viereck ermöglicht sechs unterschiedliche Zweierbeziehungen, drei unterschiedliche Dreiecke, und erst am Showdown werden alle vier zugleich beteiligt sein. Das Viereck explodiert. Das Gute wird einen knappen Sieg davontragen, wenn auch ausdrücklich nicht in einem Happy-End. Fortsetzungen sind denkbar, schon weil es sich bei allen vieren um Wiedergänger handelt.
Die Spannungen, die zum Knall führen werden, ließen sich durchdeklinieren. Shreck und Catwoman: Sie war seine Sekretärin und wird sich dafür rächen. Shreck und Pinguin: Der Geldmann will das Monstrum zum Bürgermeister machen, dieser beißt seinem Image-Berater in die Nase. Catwoman und Pinguin: Sie steckt sich seinen geliebten gelben Kanarienvogel in den großen Mund und würde ihn auch hinunterschlingen, wenn Pinguin nicht mit einer ähnlichen Sanktion gegen ihre Katze drohte — da spuckt sie den Vogel wieder aus, und er flattert davon.
Und ach! Batman und Catwoman: Als Selina Kyle und Bruce Wayne fühlen sie sich zueinander hingezogen, unter der Maske aber sind sie gnadenlose Konkurrenten. Sie küssen und sie schlagen sich. Sie können sich nicht lieben, sie können sich nicht hassen. Allein diese Konstellation erwärmt den Film zuweilen auch von innen.
„Batman Returns“. Regie: Tim Burton, Drehbuch: Daniel Waters, Bauten: Bo Welch, Musik: Danny Elfman. Mit Bruce Wayne, Michelle Pfeiffer, Christopher Walken, Danny DeVito, USA 1992, ca. 120 Min.
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