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Görings Speisekartensammlung entdeckt

Am Dienstag, kurz vor Feierabend klingelt in der Medienredaktion der taz das Telefon. Eine Stimme mit leichtem norddeutschen Akzent ist am anderen Ende der Leitung: „Hier Willié, Brandstwiete.“ Schon nach wenigen Sätzen wissen wir, daß uns gerade das sensationellste Angebot in der kurzen Geschichte von „Flimmern und Rauschen“ gemacht wird: Die komplette und kommentierte Speisekartensammlung des Reichsmarschalls Hermann Göring hat der Anrufer im Keller eines Blankeneser Fischrestaurants entdeckt. 1.200 Speisekarten und Menüfolgen von 1910 bis 1945, vom Rehrücken in Carinhall bis zum Wüstenfrühstück bei Rommel, dem Fuchs. Zwei Bände, in Schweinsleder gebunden. Für eine fünfstellige Summe kann die taz den Jahrhundertfund exclusiv abdrucken. Dürfen wir dafür Genossenschaftsgelder investieren? Stammt das Material wirklich aus Görings persönlichem Besitz? Eins steht fest: So einen Autor hatten wir noch nicht im Blatt. Wir bitten Willié, uns eine Kostprobe zu faxen. Nach schweißtreibenden Minuten des Wartens erscheint um 19.33Uhr die erste Seite. Eine Speisefolge aus dem Jahr 1942, eingenommen auf dem Obersalzberg, versehen mit Randbemerkungen des Reichsmarschalls. Ein Beweis für das in dieser Zeit angespannte Verhältnis Göring/Hitler: „Der Führer gibt sich mal wieder als größter Vegetarier aller Zeiten! Soll ich mich etwa bei Blondie (Hitlers Schäferhund, d.Red.) bedienen?“, steht neben dem Vorgericht gekritzelt. Besonders zu schaffen machten Göring augenscheinlich die inszenierten Eintopfessen der Nazi-Spitze. Und so ist neben dem Nachtisch („Mus vom Boskop“) folgender Satz zu lesen: „Ein Topf, ein Reich, ein Führer!“ Daneben findet sich ein mit Füllfederhalter skizzierter Toilettendeckel. Göring — der Chronist der NS-Küche. Trotz frappierender Einblicke von gastronomischen Ausmaßen entschließen wir uns gegen die Veröffentlichung. Ein Blitzgutachten unserer Archivare hat ergeben, daß die Randbemerkungen eindeutig aus der Feder des britischen Historikers David Wirsing stammen. Text: saja/kotte/Foto: Unser Jahrhundert im Bild

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