INTERVIEW: „Die Geschichte der Opfergruppen sauber trennen“
■ Jakob Schulze-Rohr von der „Perspektive Berlin“ zum Streit der Opfergruppen um das Holocaust-Denkmal
taz: Die von Ihnen 1988 mitbegründete Bürgerinitiative „Perspektive Berlin“ und deren Untergruppe, der seit 1989 bestehende „Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas“, setzen sich seit Jahren für die Aufstellung eines nationalen Mahnmals in Gedenken an den Völkermord an sechs Millionen europäischer Juden ein. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, fordert jedoch, daß dabei auch der halben Million Sinti und Roma gedacht werden müsse, die von den Nazis umgebracht wurden. Das zuständige Bundesinnenministerium hat diesen jahrelangen Streit zwischen den Opfergruppen nun behördlicherseits entschieden und will den Bau zweier getrennter Denkmale unterstützen. Ihre Gruppe schlägt nun vor, ein solches womöglich in Berlin-Marzahn am Ort des früheren „Zigeuner-Sammellagers“ der Nazis oder in Hohenasperg bei Stuttgart zu erstellen.
Jakob Schulze-Rohr: Zuerst muß ich sagen, daß es unsere Bürgerinitiative, die sich mit ganz unterschiedlichen tagespolitischen Themen beschäftigt, überfordern würde, Denkmalprojekte für alle Opfergruppen zu organisieren. Aber wir unterstützen die Idee, daß für alle Opfergruppen Mahnmale und auch Dokumentationsstätten errichtet werden. Die Nazis haben damals die Sinti und Roma, die sie diskriminierend Zigeuner nannten, zwangsweise auf die Rieselfelder von Marzahn verbracht. Es gibt dort zur Zeit nur einen kleinen Gedenkstein, der die Vernichtung in den KZs natürlich nicht wiedergibt. Deswegen setzen wir uns auch für den Bau eines Denkmals und Dokumentationszentrums dort ein. Die Bundesregierung möchte ein eigenes Denkmal für die Sinti und Roma unterstützen; vielleicht könnte das hier entstehen.
Romani Rose hat Ihnen neulich in Berlin „Rassismus“ und eine „Absonderung“ der Roma und Sinti aus dem Holocaust-Denkmal vorgeworfen.
Das ist wirklich lächerlich. Lea Rosh, die Vorsitzende der „Perspektive Berlin“, hat Mitte der achtziger Jahre einen vielbeachteten Fernsehfilm über die Verfolgung und weitere andauernde Diskriminierung der Sinti und Roma erstellt. Damals hatten wir noch einen sehr guten Kontakt zu Romani Rose, der aber wegen dieses ganzen Streites abbrach. Jetzt wirft er mir vor, ich hätte in einem taz-Interview am 13. April 1989 gesagt, das Denkmal müsse sauber bleiben. Das habe ich aber nicht gesagt, auch wenn ich mich womöglich sehr mißverständlich ausgedrückt habe. Ich möchte hier klarstellen: Mir ging es darum, daß die Geschichten der Opfergruppen sauber getrennt dargestellt werden müßten. Im übrigen muß man das Interview von 1989 nur nachlesen: Dort steht nichts von „Denkmal sauberhalten“! Die Geschichte der Judenverfolgung in der Nazizeit und die Verfolgung der Sinti und Roma ist sehr unterschiedlich. Gegen die Juden gingen die Nazis schon sehr früh vor. Das passierte mit anderen Opfergruppen — zunächst einmal — nicht. Die Roma und Sinti galten als katholische Christen und als indogermanische Arier, weil sie aus dem Gebiet des heutigen Pakistans stammen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es nach der irrsinnigen Nazi-Ideologie sogar Wehrmachtsanhörige der Sinti — undenkbar für Juden! Um diese Bevölkerungsgruppe dennoch ausgrenzen zu können, haben die Nazis sich zunächst auf die „Mischlinge“ gestürzt. Bei den Juden war es umgekehrt. Es gibt also Unterschiede, auch wenn später auch die „reinrassigen“ Sinti und Roma dem rassistischen Vernichtungswahn genauso zum Opfer fielen wie die Juden.
Romani Rose wirft Ihnen auch vor, Sinti und Roma und desertierte SS-Männer in einen Topf geworfen zu haben.
Das ist absurd. Herr Rose will nicht verstehen: Es geht um den „Bitburg-Effekt“. In den 80er Jahren wollte die Bundesregierung genau solch ein belangloses Denkmal für alle Faschismusopfer aufstellen, und das ist historisch ungenau und gefährlich.
Wenn nun in Berlin-Mitte ein Shoah- Denkmal und in Marzahn ein Mahnmal für die Sinti und Roma erstellt wird, besteht die Gefahr, daß nur das zentrale von zukünftigen Staatsoberhäuptern besucht und das andere an der Peripherie vergessen wird.
Der Standort begründet sich aber daraus, daß wir die Gedenkstätten an historisch wichtigen Orten sehen wollen. Für die Euthanasieopfer heißt das: in Hadamar. Für die Kommunisten und Sozialdemokraten in Buchenwald. Für die Homosexuellen meiner Meinung nach am Berliner Nollendorfplatz. Für die russischen Kriegsgefangenen in Sachsenhausen, wo sie in der Genickschußanlage umgebracht wurden. Für die Sinti und Roma in Marzahn oder Hohenasperg. Für die europäischen Juden aber läßt sich solch ein singulärer Ort nicht finden, denn sie wurden an allen Orten in allen Ländern verfolgt. Deswegen meinen wir, daß das Denkmal in der Nähe des ehemaligen Führerbunkers errichtet werden sollte. Hitler hat dort kurz vor seinem Selbstmord 1945 in seinem Testament geschrieben, eines seiner Ziele, den „Lebensraum im Osten“, habe er nicht erreicht, aber das andere: die Vernichtung der europäischen Juden. Interview: Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen