: Rot-Grün auf dem Weg zur geheimen Polizei
Über ein neues Gefahrenabwehrgesetz will das niedersächsische Innenministerium die Polizei zum heimlichen Sammeln von Daten über jedermann ermächtigen/ Auch die Überwachung von Demonstrationen soll erleichtert werden ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Acht verschiedenen Personengruppen unter fünf Ziffern zählt der Paragraph 27b auf, und er soll eigentlich genau abgrenzen, über wen und warum die niedersächsische Polizei künftig Daten sammeln darf. Doch nach Ansicht des niedersächsischen Datenschutzbeauftragten wäre es ehrlicher gewesen, in den Gesetzentwurf einfach hineinzuschreiben: „Die Polizei kann personenbezogene Daten über jedermann erheben.“
Das Landesinnenministerium in Hannover hat ein neues Polizeigesetz im Entwurf fertiggestellt: das „Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz“. Der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski will mit der Gesetzesnovelle einer „Bürgerpolizei“ den Weg ebnen. Doch die Landtags-Grünen bezeichnen seinen Gesetzentwurf nicht nur als „ungenügend“, sondern gleich als „gefährlich“. Der Datenschutzbeauftragte Gerhard Dronsch, immerhin CDU- Mitglied, kommentierte die 48 Seiten mit einem entschlossenen: „So nicht!“
Das neue Gefahrenabwehrgesetz spricht brav stets von „Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten“. Es will Undercover Agents, unter falscher Identität lebende Polizeiagenten, nicht erlauben und die Ermächtigung zum „Todesschuß“ des alten Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) aus dem Jahre 1982 ersatzlos gestrichen sehen. In der Hauptsache will der Entwurf jedoch die Befugnisse der Polizei grundlegend erweitern: Die soll nicht mehr nur Gefahren für die öffentliche Sicherheit abwehren und einer Straftat Verdächtige verfolgen. Sie soll nun auch „für die Verfolgung von Straftaten vorsorgen“, „Straftaten verhüten“ und die „Abwehr künftiger Gefahren“ vorbereiten.
„Die neue umfassende und konturlose Aufgabenbeschreibung ermächtigt die Polizei, im kaum eingeschränkten Vorfeld einer Gefahr oder eines Verdachtes zu operieren“, so sagt es der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner, der die Landtagsfraktion der niedersächsischen Grünen rechtspolitisch berät. Als Voraussetzung für die Erhebung von Daten muß die Polizei nur noch „tatsächliche Anhaltpunkte für künfige Straftaten“ ausgemacht haben. Dann darf sie mit Auge und Ohr, also ohne technische Hilfsmittel, auch Daten von „Kontakt- oder Begleitpersonen“, von potentiellen „Opfern“ und von „Zeugen, Hinweisgebern oder sonstigen Auskunftspersonen“ erheben. Wenn die Polizei dies „zur Erfüllung ihrer Augaben“ als notwendig erachtet, darf das alles natürlich auch gespeichert werden. Schon hier sieht der niedersächsische Datenschutzbeauftragte „eine gefährliche Nähe zur der vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig erachteten Datenvorratshaltung“. Mit ihren neuen Befugnisse könne die Polizei den Täter schon ausfindig machen, bevor der überhaupt einen Tatentschluß gefaßt habe.
Sind es künftige Straftaten „erheblicher Bedeutung“, für die die Polizei „tatsächliche Anhaltspunkte“ ausgemacht hat, so will das neue Gesetz das Arsenal polizeilicher Beobachtungsmittel, auch gegenüber „Kontakt- und Begleitpersonen“, erlauben: den „verdeckten Einsatz technischer Mittel“ zur Aufzeichung von Bildern und des „nicht öffentlich“ gesprochenen Wortes, sprich Wanzen, Richtmikrophone, Sichtgeräte und Videokameras, dazu noch die „längerfristige Observation“ und den Einsatz von V-Leuten. Nur für den Einsatz technischer Mittel „in oder aus einer Wohnung“ verlangt der Entwurf „tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme“ einer Gefahr „für Leib, Leben oder Freiheit“. Andererseits dürfen Beamte oder V-Leute Personenschutzsender mitführen. Was die Polizei mit Hilfe solcher Sender verdeckt in Wohungen aufzeichnet, kann sie dann doch wieder zur „Verhütung oder Verfolgung von Straftaten erheblicher Bedeutung“ verwenden.
Der Datenschutzbeauftragte hält es für „verfassungsrechtlich bedenklich“, der Polizei prinzipiell heimliche Ermittlungsmethoden zu erlauben. Er kritisiert vor allem die Verarbeitung von Daten „unbeteiligter Dritter“ und verlangt, daß die Polizei den betroffenen Bürger „zur gebotenen Zeit“ über die Speicherung oder weitere Übermittlung seiner Daten zu unterrichten hat.
Der Entwurf allerdings will nicht nur die Übermittlung von Daten an ausländische öffentliche Stellen, sprich Dienste, erlauben, sondern auch an „Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs“ in der Bundesrepublik, etwa an Firmen. Was in Rheinland-Pfalz unter dem Stichwort Datenaustausch zwischen BASF und Polizei noch Skandal war, könnte in Niedersachsen damit demnächst legal werden.
Der rechtspolitische Experte der Grünen, Rolf Gössner, sieht durch die Gesetzesnovelle vor allem jene polizeiliche Methoden legalisiert, die seit langen im rechtsfreien Raum oder auch illegal angewandt werden. Neben der Ermächtigung zur verdeckten Ermittlung soll die Polizei nun etwa auch das Recht bekommen, von allen Teilnehmern öffentlicher Versammlungen (Demos) Daten mit „technischen Mitteln“ zu erheben. Ihr wird gestattet, über die Videokameras, die auf öffentlichen Plätzen oder an gefährdeten Objekten angebracht sind, „Bild- und Tonaufnahmen von Personen anzufertigen“. Ihr bleibt für praktisch alle Orte das Recht zur Razzia, zur Durchsuchung von Passanten und zu deren erkennungsdienstlicher Behandlung.
Die Grünen wollen bisher den Weg zur „geheimen Polizei“, zum „polizeilichen Überwachungsstaat“ nicht mitgehen. Sie wollen zumindest generell die Schwellen für polizeiliche Eingriffe in Rechte der Bürger erhöhen. Grünen-Berater Rolf Gössner nennt es einen „Kinder- oder Wunderglauben, mit erweiterten Befugnissen der Polizei die Kriminalität ausrotten zu wollen“. Bei Aufklärungsdefiziten müsse in die herkömmliche Polizeiarbeit investiert werden. Der organisierten Kriminalität könne am besten durch eine kontrollierte Abgabe harter Drogen zu Leibe gerückt werden.
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