Nur eine symbolische Rehabilitation

Zum 60. Jahrestag des Altonaer Blutsonntags beantragt die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme der Prozesse  ■ Aus Hamburg Till Briegleb

„Der ganze Krach kam durch das Nichtgrüßen der Hakenkreuzfahne. Die SA- und SS-Leute zogen nach Altona rein, und wer von den Passanten nicht den Arm hob, den verprügelten sie mit Koppel oder Schulterriemen.“ Dieser „Krach“, den Herbert Baade noch heute in allen Einzelheiten wiedergeben kann, endete mit 18 Toten, etwa 70 Verletzten sowie vier Hinrichtungen und ging in die Geschichte als der „Altonaer Blutsonntag“ ein.

Am 17. Juli 1932 marschierten mehrere tausend Nationalsozialisten durchs „Rote Altona“, um die dortige Bevölkerung einzuschüchtern. Im Verlauf dieser Provokation kam es zu Auseinandersetzungen mit Kommunisten. Nach ersten Schlägereien begann die Polizei, so erinnert sich Herbert Baade, der auch stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) ist, den Nazis den Weg freizuschießen. „Sie haben gerufen: ,Fenster zu, es wird geschossen!‘, und wenn dann noch jemand aus dem Fenster gesehen hat, dann hat die Polizei ins Fenster reingeschossen. Sie haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat“, so Baade.

Im Verlauf dieses Massakers wurden auch zwei SA-Leute erschossen. Von den etwa 90 Verhafteten dieses Tages wurden daraufhin vier des Mordes verdächtigt, und Polizeizeugen entwarfen verschiedene Versionen von Kommunisten, die von Dächern aus auf den Demonstrationszug geschossen haben sollten. Baade, der dabei war, kann sich allerdings an nichts dergleichen erinnern. Außerdem habe er sich damals im Altonaer Krankenhaus erkundigt und erfahren, daß auch die beiden SA-Schläger mit denselben Karabiner-Waffen der Polizei getötet worden seien, wie die anderen Opfer.

Alle Verhafteten mußten wieder freigelassen werden, aber kurz nach der Machtübernahme der Nazis wurden 15 von ihnen erneut verhaftet, und Bruno Tesch, August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff wurden vor dem neueingerichteten Sondergericht Altona zum Tode verurteilt und am 1. August 1933 mit einem Handbeil geköpft. Die anderen Verhafteten verbüßten teilweise lange Zuchthausstrafen, und viele wurden anschließend in KZs interniert.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft beantragte nun beim Oberlandesgericht eine Wiederaufnahme dieser Verfahren mit dem Ziel, die Unrechtmäßigkeit der damaligen Urteile feststellen zu lassen. Zwar gab es gleich nach dem Krieg eine Verordnung der britischen Militärverwaltung über die Beseitigung aller nationalsozialistischen Unrechtsurteile, allerdings bezog sich diese „VO 47“ genannte Verordnung nur auf Straftaten, die nach dem 30. Januar 1933 begangen worden waren.

Durch die akribische Forschung verschiedener Historiker, hauptsächlich des Franzosen Léon Schirmann, dessen Ergebnisse im Herbst auch in Buchform erscheinen werden, konnte nachgewiesen werden, daß bei dem Prozeß mit gefälschten Beweisen gearbeitet wurde. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ist sich sicher, daß damals Zeugenaussagen manipuliert wurden. Außerdem hätten die Beschuldigungen nicht ausgereicht, die Angeklagten zu verurteilen. Das Oberlandesgericht wird nach Ansicht von Justizexperten ein neues Hauptverfahren nur formell eröffnen und sofort wieder einstellen. Dies käme einem Freispruch gleich.

Laut Nikolaus Berger, dem Pressesprecher der Justizbehörde, gibt es momentan noch rund tausend ähnliche Überprüfungsvorgänge in Hamburg. Die meisten Opfer und ihre Hinterbliebenen sind allerdings längst verstorben, meist ohne einen Pfennig Wiedergutmachung erhalten zu haben.