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Telekom handelt verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht: Speicherung von Telefonnummern mit ISDN ist ein Grundrechtseingriff  ■ Aus Bremen Klaus Wolschner

„Das Post- und Fernmeldegeheimnis bleibt in jedem Fall gewahrt“, steht vorn unter den „Hinweisen zum Telefonieren“ in jedem Telefonbuch. Wirklich? Für den Datenschutz hat das Bundespostministerium die „Telekom-Datenschutz-Verordnung“ (TDSV) erlassen. Nach dieser Verordnung hat die Post das Recht, die Nummern im ISDN-Computer der Telekom auch nach dem Gespräch mindestens drei Monate lang zu speichern.

Staatsanwalt und Verfassungsschutz haben da Zugriff, und wenn der Anrufer es wünscht, erscheint die vollständige Liste der Nummern auf seiner Telefonrechnung. Bei ISDN-Anschlüssen ist dies derzeit schon möglich, in ein paar Jahren wird einmal jeder Telefonkunde diesen Service der Rechnung mit ausgedruckter Gesprächsliste bestellen können. Da wäre für den, der die Liste in die Hand bekommt, nachzulesen, wann zum Beispiel mit einer psychosozialen Hilfs-Institution telefoniert wurde, Haushaltsvorstände können feststellen, welche Nummer — etwa ein heimlicher Freund? — vom Anschluß der Familie vormittags angerufen wurde, im ISDN- Computer ist nachzuvollziehen, wann wie lange mit einem Anwalt telefoniert wurde. Dies bezieht sich auch auf diejenigen, die angerufen wurden — sobald jemand nach dem Klingeln den Hörer aufnimmt, so das Postministerium, hat er diesbezüglich keinerlei „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ mehr.

Die beiden Bremer Rechtsanwälte Wesemann und Stucke wollten gegen die mögliche Speicherung ihrer Telefonnummer vorgehen — vergeblich. In diesen Tagen haben sie die schriftliche Urteilsbegründung des Bremer Verwaltungsgerichts zugesandt bekommen, die die Auffassung des Postministeriums wiederholt: Erstens, so die Richter, haben die Angerufenen keinerlei Recht auf ihre Daten. Daß die Speicherung der Telefonnummern mindestens drei Monate lang „für den Nachweis in Gebührenstreitigkeiten“ erforderlich sei, hatte sich das Gericht durch einen Telekom-Ingenieur bestätigen lassen. (Az 2 A 8/91)

In der Berufung wird dieses Urteil keinen Bestand haben: Noch bevor das im Februar gesprochene Urteil mit Begründung getippt war, hat nämlich das Bundesverfassungsgericht das Postministerium und die Verwaltungsrichter an das Grundgesetz Artikel10 erinnert. Die Leitsätze der Verfassungsrichter sind von dankbarer Klarheit: Eine Speicherung der Telefonnummern über das Gespräch hinaus, so entschied der erste Senat, ist ein Eingriff in das Grundrecht nach Artikel10 der Verfassung. Ein Grundrechts-Eingriff kann aber nicht in einer Verordnung geregelt werden, die Speicherung auf Grundlage der Telekom-Datenschutzverordnung habe zu einem „verfassungswidrigen Rechtszustand“ geführt, der nur vorübergehend hingenommen werden könne.

Zweitens erklärten die Richter, die „in der postrechtlichen Literatur allgemein angenommene“ Lehre, daß der Angerufene keinen Schutz seiner persönlichen Daten verlangen könne, „verkennt Bedeutung und Tragweite von Artikel10 Grundgesetz“. Das bedeutet: Wenn das Bundespostministerium darangeht, für seine Datenspeicherung eine hinreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen, muß es sich um den Datenschutz der Angerufenen sehr wohl Gedanken machen. Das Interesse, in Zukunft mit gespeicherten Telefon- Daten in Streitigkeiten um die Gebührenrechnung aufwarten zu können, dürfte nach diesem Urteil die Einschränkung von Grundrechten kaum rechtfertigen.

Die Verfassungsrichter haben in ihrer Begründung sehr grundsätzlich argumentiert: Der Grundrechtsschutz, so ihr Spruch, „bezieht sich historisch und aktuell vor allem auf die staatlichen Sicherheitsbehörden“: vor denen sollen die Daten über geführte Telefongespräche geschützt sein.(Az. 1 BvR 1430/88)

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