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Die großen Worte des Milan Panic...

Auch der 16. Waffenstillstand in Bosnien wird nicht eingehalten/ Heftige Kämpfe in Sarajevo führen zur Einstellung der UNO-Luftbrücke/ Haben Serben und Kroaten Bosnien unter sich aufgeteilt?  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) — Wieder ein Waffenstillstand für Bosnien, der das Papier nicht wert war, auf dem er stand. Nicht einmal für eine Minute stellten die serbischen Truppen am Sonntag um 18 Uhr ihr Dauerfeuer auf die bosnische Stadt Gorazde ein. In Sarajevo flammten die Kämpfe mit schweren Waffen bereits nach einer Stunde und vierzig Minuten in aller Schärfe wieder auf. Die serbischen Freischärler zeigten sich selbst von der Show des Belgrader Regierungschefs Milan Panic nicht beeindruckt, der am Sonntag über die UNO-Luftbrücke nach Sarajevo gereist war.

Der Amerikaner serbischer Abstammung brachte in der Tat auch nichts zu Wege. Seine großspurigen Worte beim Treffen mit dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic, er werde den örtlichen Serbenführern Befehle erteilen und veranlassen, daß alle schweren Waffen abgezogen würden, verhallten wie Rauch. Die Kämpfe tobten in der bosnischen Hauptstadt am Montag sogar mit solcher Heftigkeit, daß die Luftbrücke der UNO zum erstenmal seit ihrer Einrichtung vor drei Wochen geschlossen werden mußte.

Eine Erklärung für diese Eskalation findet sich in der nur sporadisch in Sarajevo erscheinenden Zeitung Oslobodjenje: Ihrer Ansicht nach entscheiden allein die kroatische und die serbische Regierung über Frieden und Krieg. Und diese hätten sich bereits zu Beginn der letzten Woche in einem Geheimtreffen auf ein sogenanntes „Friedensdokument“ geeinigt. Darin stellen die Spitzenpolitiker aus Belgrad und Zagreb fest, daß sie die jeweiligen Kriegsziele erreicht hätten und sie daher nun nur noch ihre Beute sichern müßten. Jeder könne von nun an in seiner Einflußsphäre schalten und walten: Der Norden Bosniens würde Serbien zugeschlagen, der Süden um Mostar und dem Hinterland von Dubrovnik, Kroatien. Die Oslobodjenje will sogar wissen, daß die serbischen Verbände 62 Prozent des bosnischen Territoriums, die kroatischen 30 Prozent behalten dürften.

Mit dem Wissen um diese Abmachung — so die Zeitung weiter — hätte Panic Ende letzter Woche seinen Blitzbesuch in Sarajevo angekündigt. Dabei soll er für den bosnischen Präsidenten jedoch ein Zugeständnis im Gepäck gehabt haben: Kroaten wie Serben würden Sarajevo nur dann räumen, wenn sich die Muslimanen — immerhin 43 Prozent der vier Millionen Einwohner — mit einem Rumpfstaat um die Hauptstadt zufrieden geben würden und dem Gedankenspiel der anderen Kriegsparteien zupflichten würden. Ein „Angebot“, auf das sich Izetbegovic natürlich nicht einlassen konnte.

Wer diese Überlegungen als Spinnereien einer kleinen Zeitung abtut, vergißt zum einen, daß Oslobodjenje bisher als seriöses Blatt, teilweise auch als Sprachrohr der Izetbegovic- Regierung galt. Zum anderen aber wurden diese „Spinnereien“ in den folgenden Tagen auch von mehreren Zeitungen des ehemaligen Jugoslawien aufgenommen. Die größte Verwirrung löste jedoch am letzten Mittwoch der slowenische Außenminister Dimitrij Rupel aus, als dieser bei einem Treffen mit dem britischen Außenminister Hurd die Behauptung in den Raum stellte, Zagreb führe wie Belgrad eine gewaltsame Expansionspolitik in Bosnien.

In der Tat häuften sich in den letzten Tagen Zwischenfälle zwischen Muslimanen und Kroaten und bröckelte an mehreren Kampfabschnitten die gemeinsame Front gegen den „serbischen Aggressor“. Besonders in Sarajevo wird den Kroaten übelgenommen, daß sie illegale Waffenlieferungen über das adriatische Meer stets in Richtung der kroatischen Hochburg Mostar abzweigen und nicht weiter zu den Verteidigungsverbänden der Hauptstadt durchschleussen. In Novi Travnik sollen Kroaten sogar die Stellungen muslimischer Kämpfer an die serbische Seite verraten und so die Niederlage der Muslimanen herbeigeführt haben. Schwere Vorwürfe, die möglicherweise dazu führen können, daß in Bosnien bald alle drei Volksgruppen gegeneinander Krieg führen. Möglicherweise liegt hier aber auch der Grund, daß der letzte Waffenstillstand nicht halten konnte: Die Provokateure auf allen Seiten haben den Krieg weiter angeheizt.

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