: »Wir wollen ihn ja nicht zu Tode bringen«
■ Erstmals müssen sich zwei ehemalige DDR-Richter vor dem Landgericht wegen Rechtsbeugung verantworten/ Der 63jährige Mitangeklagte, Ex-Oberrichter des Senats für Arbeitsrecht, erschien wegen Krankheit nicht/ Prozeß vertagt
Moabit. Immer wenn im Krimialgericht Moabit ein neues Verfahren der DDR-Hinterlassenschaft zur Verhandlung ansteht, vollzieht sich auf den Gerichtsfluren das gleiche Medienspekatel. Gestern hatten sich die Kamerateams vor dem Saal 820 auf die Lauer gelegt, in dem erstmals ein Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen zwei ehemalige Richter der DDR stattfinden sollte. Doch das Warten und Schwitzen auf den stickigen Fluren zahlte sich nicht aus. Nach mehrstündiger Unterbrechung wurde der Prozeß auf den 3. August vertagt. Der Grund: einer der beiden Angeklagten, der 63jährige ehemalige Vorsitzende Richter der Senats für Arbeitsrecht beim Stadtgericht Berlin, Klaus R., befindet sich aufgrund von Herzproblemen im Krankenhaus.
Nur die 29jährige Ex-Richterin am Stadtbezirksgericht Mitte, Kerstin T., erschien vor der 15. Strafkammer des Landgerichts. Die Staatsanwaltschaft legt der jungen Frau dem Vernehmen nach zur Last, im Oktober 1989 dafür gesorgt zu haben, daß ein Mitarbeiter des Hauptvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) mit seiner Klage gegen seine politisch begründete Entlassung scheiterte. Der damalige Kläger Friedhelm B. soll seinerzeit gekündigt worden sein, weil er sich geweigert habe, der Betriebskampfgruppe beizutreten. Kerstin G. soll seine Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen haben. Sie soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft von dem Oberrichter Wolfgang R. dazu veranlaßt worden sein. Nach Informatioen der taz soll Wolfgang R. seiner jungen Kollegin bedeutet haben, daß eine politische Entscheidung gefragt sei. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, daß eine solche politische Entscheidung nach den Regeln der Zivilprozeßordnung und des Arbeitsrechts der DDR nicht zulässig war.
Der Prozeß gegen die beiden DDR-Juristen wegen Rechtsbeugung war von großen Teilen der Presse im Vorfeld als Pilotverfahren bezeichnet worden. Justizsprecher Rautenberg ist jedoch ganz anderer Meinung. Das Verfahren sei keineswegs »typisch«. Im Gegensatz zu den meisten der rund 3.200 Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Ostberliner Richter und Staatsanwälte sei die Anklagevertretung im jetzigen Fall vergleichsweise einfach. So soll die junge Richterin einen Vermerk über die Diskussion mit ihrem mitangeklagten Kollegen in den Akten angefertigt haben.
Die Tatsache, daß der mitangeklagte 63jährige Ex-Oberrichter Wolfgang R. gestern nicht erschienen war, schmeckte dem Vorsitzenden Richter der 15. Strafkammer, Hans Reinwardt, überhaupt nicht. Reinwardt gilt als Mensch, der leicht die Beherrschung verliert und sich schnell im Ton vergreift, wenn die Dinge nicht so laufen wie er will. Nicht unwichtig ist sicher auch, daß das jetzige Verfahren zu seinen letzten gehört, weil er im August 65 Jahre alt wird und damit reif für den Ruhestand ist. Er ordnete gestern kurzerhand an, daß der im Köpenicker Krankenhaus liegende Wolfgang R. von einer Gerichtsmedizinerin auf seine Verhandlungsfähigkeit hin untersucht wurde. Nach mehrstündiger Prozeßunterbrechung kam die entsandte Ärztin mit der Nachricht zurück, daß eine Verhandlung für Wolfgang R. zum jetzigen Zeitpunkt das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts berge. Reinwardt vertagte den Prozeß daraufhin vorerst, konnte sich aber die Bemerkung nicht verkneifen: »Wir wollen ihn ja nicht zu Tode bringen.« plu
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