Zentrales Munitionskrachen in Vogelgesang

Westdeutsche Rüstungskonzerne wollen Munitionsvernichtungsanlage im sächsischen Vogelgesang bauen — Ersatz für geplante Anlage in Dragahn?/ Neben dem vorgesehenen Standort Grundwassergewinnung für drei Millionen Menschen  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Deutschlands größte Munitionsverbrennungsanlage soll im sächsischen Vogelgesang nahe Torgau entstehen. An dem umstrittenen Projekt sind der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl und die Hamburger Firma Kaus und Steinhausen beteiligt. Die gemeinsame Tochter Entsorgungs-Betriebsgesellschaft Vogelgesang (EBV) will auf dem 43 Hektar großen Gelände inmitten eines Bundeswehrgeländes jährlich 30.000 Tonnen Munition vernichten. LKWs und Züge aus den fünf neuen Bundesländern sollen auf dem Werksgelände ihre gefährliche Fracht entladen. Kaus und Steinhausen verfolgt seit einigen Jahren parallele Pläne mit einer sogenannten Munitionsdelaborierungsanlage in Dragahn im Wendland.

Die Erweiterung der Anlage in Vogelgesang, ein Tarnname noch aus der Nazi-Zeit, hat in Torgau UmweltschützerInnen und den Chef der regionalen Wasserversorgung Elbaue-Ostharz auf den Plan gerufen. Hennig Stiewe lehnt die neuen Anlagen in Vogelgesang kategorisch ab: „Der Standort ist nicht geeignet, er paßt nicht an den Rand eines Schutzgebiets zur Wasserfassung.“ Stiewe ist nicht nur verantwortlich für die Trinkwasserversorgung von 3,2 Millionen Menschen in Sachsen und Sachsen-Anhalt, er hat auch schlechte Erfahrung mit Rüstungsaltlasten.

Giftspuren im Trinkwasserbrunnen

Das 700 Hektar große Bundeswehrgelände um die geplante Fabrik herum beherbergte nämlich von 1937 bis 1945 eine der größten Sprengstoffabriken des Reiches. Giftspuren aus der Altlast fanden sich im vergangenen Jahr auch in einem Trinkwasserbrunnen, der zweieinhalb Kilometer von der geplanten Anlage entfernt liegt. Das Grundwasser fließt in diese Richtung. „Vorsorglich haben wir damals das Wasserwerk Elsnig außer Betrieb genommen“, so Stiewe. Inzwischen pumpt man aber wieder, die Giftkonzentrationen seien noch nicht gefährlich.

Nicht nur dem Wasserchef bereitet die die neue Munitionsverbrennungsanlage Sorgen. „Sehr viele Einwendungen“ seien nach der Auslegung der Planunterlagen eingegangen, bestätigt das Regierungpräsidium Leipzig, zuständige Genehmigungsbehörde für die Anlage.

Rund 400 Bürgerinnen und Bürger hatten sich in Einwendungen gegen die mögliche Verseuchung des Grundwassers und die Luftverschmutzung im benachbarten Naturschutzgebiet „Roitsch“ gewandt. Auch wollten die BürgerInnen wissen, wo denn der Abfall aus der Anlage in Vogelgesang bleibe und wie giftig er sei. Unter den Einwendern sind auch Beschwerdeführer aus dem Wendland. „Wir wollen doch nicht, daß die Menschen hier die Anlage aufs Auge gedrückt bekommen, die im Wendland wohl nicht mehr gebaut wird“, so Wolfgang Ehmke von der dortigen Bürgerinitiative Lüchow-Danneberg.

Umweltfreundlich Munition vernichten

Edith Fließbach, Geschäftsführerin von Kaus und Steinhausen und der EBV in Vogelgesang, bestätigt, daß die geplanten Anlagen in Dragahn und in Vogelgesang „dasselbe bewirken“. Ziel sei, Munition und Komponenten von Munition „umweltfreundlich zu vernichten“.

Kernstück der 50 Millionen teuren neuen Anlage ist ein Abbrandreaktor, in dem das Sprengpulver verbrannt werden soll, und ein sogenannter Panzerreaktor, in dem unzerlegte Patronen zur Explosion gebracht werden können. Filteranlagen sollen dafür sorgen, daß die Neuanlagen in jedem Fall die Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes einhielten.

Zur Konkurrenz zwischen der von Kaus und Steinhagen geplanten Anlage in Dragahn und der gemeinsamen mit Diehl in Vogelgesang hielt sich Fließbach bedeckt. Sie könne nicht sagen, wie sich die Größe der beiden Anlagen zueinander verhalte. Bei Diehl hieß es dagegen, wenn das möglich sei, sei es doch sinnvoll, die Anlage im Osten zu bauen, schon wegen der staatlichen Hilfen. Kaus und Steinhausen hatte in Dragahn einen Antrag zur Förderung durch das Bundesumweltministerium gestellt. Im Osten will die Firma jetzt „die Fördermöglichkeiten in den neuen Bundesländern ausnutzen“, so Fließbach.

Bislang stehen in Vogelgesang drei riesige Hallen, in denen zu DDR-Zeiten defekte Munition instandgesetzt wurde und heute NVA- Munition vernichtet wird. Das technische Know-how liefern ehemalige NVA-Offiziere. Tonnenweise werden die brennbaren Teile der Munition nach der Zerlegung — wie auch im Westen üblich — unter freiem Himmel abgefackelt. Dabei kommt es auch schon mal zu Unfällen.

In Vogelgesang hatte offenbar brennendes Munitionspulver Anfang Juli zu einem kleinen Waldbrand geführt. Trotz Waldbrandgefahr Stufe IV hatten die 200 Mitarbeiter der Firma diese Art der Vernichtung nicht eingestellt. Rettung kam von der Standortfeuerwehr der Bundeswehr. Allerdings schimpfte Standortkommandant Norbert Hansen anschließend, er habe die EBV- Verantwortlichen aufgefordert, „diese Verbrennungen unverzüglich einzustellen“.

Örtlichen Umweltschützern hatte der zweite Geschäftsführer der EBV, Werner Scherer, Anfang Juni noch mitgeteilt, so etwas könne nicht passieren. Die Firma habe „jede Vorsorge getroffen“, daß bei der Verbrennung „die Gefahr der Übertragung auf den in der Nähe befindlichen Waldbestand ausgeschlossen werden kann“.

Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der EBV-Mannschaft hegten in den vergangenen Monaten auch die Rüstungskonzerne Rheinmetall und Dynamit Nobel. Beide Firmen wollten ursprünglich in die zentrale Munitionszerstörung in Vogelgesang einsteigen. Doch sie verzichteten auf ihren Anteil, laut Diehl-Chef Gerd Gassner, weil ihnen das Risiko doch zu hoch war.

Am 5. August findet die öffentliche Anhörung der EinwenderInnen im Kulturraum der Bundeswehrdienststelle Vogelgesang statt. Es sieht ganz so aus, als ob die Menschen in diesem Teil Sachsens das Risiko zu tragen haben.