: „Politik der Stärke gegen Schwache“
In Frankfurt werden nach den Junkies nun auch die Straßenhuren aus der Innenstadt vertrieben/ Betroffene protestieren, Grüne lamentieren/ Prostituierten-Szene gespalten ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) — „Der Konkurrenzkampf auf dem Straßenstrich wird mörderisch werden.“ Sylvia Kurfürst und ihre Kolleginnen von der Prostituierten-Selbsthilfeorganisation „Huren wehren sich gemeinsam“ (HWG) reagierten gestern mit Empörung auf ihre Vertreibung aus dem Bahnhofsviertel. Mit Mannschaftswagen der Polizei wurden die mehrheitlich drogenabhängigen Frauen an den Seitenstreifen der stadteinwärts führenden Seite der Theodor-Heuss-Allee gekarrt — zur letzten offiziell ausgewiesenen Toleranzzone für den sogenannten Straßenstrich.
Dort hat sich die „Prosti“-Szene inzwischen gspalten. HWG-Sprecherin Kurfürst: „Stadtauswärts stehen die ,normalen‘ Frauen — stadteinwärts die Beschaffungsprostituierten.“ Schon vor der Einführung der verschärften Gangart des Ordnungsamtes und der Polizei sei es an der Heuss-Allee mehrfach zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Frauen gekommen. Kurfürst: „Wenn jetzt jede Nacht die ,Junk-Frauen‘ an den Stadtrand verschleppt werden, werden die sich dort die Köppe einschlagen, auch wenn wir von HWG immer wieder auf zivilisiertere Formen der Auseinandersetzung drängen.“ Für die Frauen von HWG steht fest, daß die Stadt versucht, sich „auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder dieser Gesellschaft“ ein neues „Saubermann-Image“ zu verpassen. Seit Monaten würden die Junkies durch das Bahnhofsviertel und durch die Parks gehetzt — „und jetzt sollen auch noch die Prostituierten von den Straßen verschwinden“.
SPD-Stadtrat Achim Vandereike, der die Vertreibungsaktion anordnete, verwies gestern auf die vom zuständigen Regierungspräsidenten abgesegnete neue Sperrgebietsverordnung für das Bahnhofsviertel. Danach sei dort die Prostitution nur noch in „festen Bordellen“ erlaubt.
„Kasernierung“ nennen das die Frauen von HWG. Vor allem den drogenabhängigen Prostituierten, so Sylvia Kurfürst, werde so keine Chance mehr gelassen, dem Gewerbe nachzugehen: „Weder in den Bordellen noch in Privatclubs werden ,Junk-Frauen‘ geduldet.“ Deshalb müsse die neue Sperrgebietsverordnung umgehend wieder aufgehoben werden. Die Nachfrage regele schließlich das Angebot — „und für eine Messestadt wie Frankfurt ist es doch eine Schande, wenn sie den Besuchern aus aller Welt einen einzigen mickrigen Straßenstrich am Stadtrand zu bieten hat“ (Kurfürst).
Sebastian Popp von den Grünen im Römer stellte fest, daß den für die Prostituiertenverschleppung verantwortlichen Magistralen „offenbar die Hitze der letzten Tage zu Kopf gestiegen“ sei. Bereits das „Junkie- Jogging“ (Polizeijargon) habe doch gezeigt, daß die Probleme rund um die offene Szene im Bahnhofsviertel nicht mit martialischer Vertreibungspolitik bewältigt werden könnten. Popp: „Alles nur für die Optik.“ Tatsächlich hat die von Polizei und Schwarzen Sherrifs in Frankfurt produzierte Dauerstreß dafür gesorgt, daß sich die Szene teilweise auf das Umland verlagert hat. Inzwischen haben Kommunen wie Hofheim — wo es bislang nur eine Haschszene gab — Probleme mit marokkanischen Heroindealern und den Konsumenten harter Drogen. Für Popp steht deshalb fest, daß die „Law-and- Order-Politik“ der SPD die „falsche Politik“ für die Stadt und die Region sei. Daß es in Frankfurt dennoch nicht nicht zum Koalitionskrach zwischen SPD und Grünen gekommen ist, führt Popp darauf zurück, daß es bei den Grünen „kriselt“ — knapp neun Monate vor den Kommunalwahlen.
Offenbar will die sogenannte Stillhaltefraktion innerhalb der Römer-Grünen die „Politik der Stärke gegenüber Schwachen“ (Popp) nur schwach verbal attackieren. Andere befürworten dagegen — „aus Glaubwürdigkeitsgründen“ — eine härtere Gangart, um den großen Koalitionspartner wieder auf Koalitionslinie zu bringen. Sebastian Popp jedenfalls ist nicht länger bereit, das von den Grünen bereits verabschiedete Kommunalwahlprogramm in Sachen Drogen von der SPD „ad absurdum“ führen zu lassen. Popp: „Die Drogenpolitik in dieser Stadt wird Thema auf der nächsten Kreisversammlung dieser Partei werden.“
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