: Seeschlacht im Bonner Wasserwerk
Unüberbrückpare Positionen zwischen Opposition und Regierungsmehrheit bei der Debatte um eine Beteiligung der Bundeswehr an den Nato- und WEU-Einsätzen vor der Küste Ex-Jugoslawiens ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Hans-Ulrich Klose, Fraktionschef der SPD, konnte offenbar ganz auf die Zustimmung seiner Fraktion rechnen, als er der Bundesregierung vorhielt, daß es in einer Frage Unklarheiten nicht geben dürfe. Darüber nämlich, was die Bundesrepublik mit ihrer bewaffneten Macht anfängt, dürfe weder über eine Politik der Fakten entschieden, noch dürften die Grauzonen ausgedehnt werden. „Dafür bedarf es einer Verfassungsänderung.“ Die von der SPD erzwungene Sondersitzung des Bundestags machte indessen endgültig klar, daß „die bisherige konsensuale Verfassungsinterpretation“ (Klose) der Vergangenheit angehört.
Während der Klose-Rede saß der Außenminister gleich neben der mächtigen Gestalt des Bundeskanzlers, einige Plätze davon enfernt der Verteidigungsminister. Alle drei legten bei der ungeplanten und heftigen Debatte über die deutsche Außenpolitik gemessenen Ernst und entschlossene Ruhe an den Tag. Die SPD-Fraktionsspitze, namentlich Hans-Ulrich Klose, hatte es am Vorabend gerade noch geschafft, die Fraktion zusammenzuschweißen. Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen entschloß sich die SPD zur Verfassungsklage in Karlsruhe, nach dem endlosen Hin und Her der Vortage fast ein erstaunliches Ergebnis.
Außenminister Klaus Kinkel (FDP) eröffnete die Debatte mit einer Regierungserklärung. Eine „Herausforderung an die Völkergemeinschaft“ sei die Lage in den Ländern früheren Jugoslawien, in Bosnien, in Sarajewo. Kinkel beschor „ohnmächtige Wut“, beklagte die realative Hilflosigkeit, („das mact bitter“) und stellte schließlich fest, daß die „traditionellen Instrumente unserer Außen- und Sicherheitspolitik versagt“ haben. „In dieser Lage ist auch ein aktiver und konstruktiver Beitrag der Deutschen gefordert.“ Die Verantwortung der Deutschen nach 1989 sei gewachsen, so Kinkel, um schließlich den umstrittenen Einsatz des Zerstörers Bayern zu verteidigen. Die Teilnahme an der Embargo-Überwachungsaktion von WEU und NATO gehöre in den Kontext der anderen Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft. Darüber sei sich die Bundesregierung einig mit den Partnern und einig mit der Bevölkerung.
Der Außenminister stellte als erster die in dieser Debatte viel strapazierte Frage an die Oppositionsparteien: „Hätten wir beiseite stehen sollen?“ Völkerrechtlich und verfassungsrechtlich sieht die Bundesregierung „keine Bedenken“, die Beteiligung der Deutschen sei vielmehr wichtig, um die Bündnisfähigkeit der Deutschen unter Beweis zu stellen. Den Vorwurf der Opposition, die Regierung habe das Parlament umgangen, konterte Kinkel mit dem Verweis auf Gespräche und Konsultationen mit der Fraktionsführung der SPD.
„Das Parlament muß mitreden, nicht einzelne Parlamentarier“ verlangte statt dessen Klose. Daß die Regierung den jahrzehntealten Konsens schrittweise verläßt, daß die Bundeswehr nur im Verteidigungsfall eingesetzt werden darf, werde die SPD nicht akzeptieren. Eine Neuorientierung, über die auch die SPD nachzudenken habe, sei nötig, aber „im Diskurs, mit dem Parlament“. Klose warf der Regierung vor, sie wolle eine grundlegende Änderung des Bundeswehrauftrags und der deutschen Außenpolitik unter der Hand herbei führen. „Lassen Sie uns das tun, was im Konsens möglich ist“, so Klose. Er forderte die Regierung auf, ihrerseits klar und deutlich zu sagen, was sie wolle. Die SPD habe mit ihren Antrag auf eine Verfassungänderung, der Blauhelmeinsätze ermöglichen, Kampfeinsätze jedoch ausschließen soll, ihre Position vorgestellt. Unter großen Beifall seiner Fraktion wandte sich Klose gegen jedes militärische Engagement auf dem Balkan. „Dieser Einsatz hilft den Menschen überhaupt nichts.“ Weiter: „Militärische Optionen gibt es im konkreten Fall nicht, schon gar nicht für Deutschland“.
Der Fraktionschef der Union, Wolfgang Schäuble, hielt dagegen, daß militärische Konflikte allein durch humanitäre hilfe nicht zu beenden seien. Klose, der in seiner Rede Kohl, Genscher und Rühe zitiert hatte, die alle noch in jüngster Zeit für eine vorsichtige Gangart bei mögliche deutschen Einsätzen plädiert haben, wurden nun seinerseits von Schäuble zitiert. Im Januar '91, in der Golfkriegsdebatte, war Klose für die Teilnahme der Deutschen an allen Rechten und Pflichten der UN- Charta eingetreten. Nach Schäubles Verfassungsinterpretation sei die Beteiligung an „friedenserhaltenden und friedensschaffenden Aktionen der UN“ schon jetzt möglich. Dennoch sei es wünschenswert „die unterschiedliche Interpretation der Verfassung zu beenden“. Der Fraktionschef: „Am besten mit Ihnen, aber notfalls auch mit Mehrheiten.“
Die Rede Schäubles, wie so oft angetan, die Opposition heftig zu reizen und eigenen Reihen fest hinter sich zu bringen, enthielt auch gestern eine mehrminütige Passage zur Änderung des Asylrechts. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin vermutete später, daß das in den Ohren der asylsuchenden Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien wie eine Verhöhnung geklungen haben muß.
Gegen jede Erweiterung des Bundeswehrauftrags sprach sich Gregor Gysi (PDS/LL) aus. Vera Wollenberger (Bündnis 90/Die Grünen) plädierte für die Teilnahme an Blauhelmeinsätzen der Vereinten Nationen, wenn diese an bestimmte Bedingungen geknüft seien. Sie könnten eine Deeskaltionsfunktion haben.
Volker Rühe wiederholte seine Formel, es ginge darum, den Krieg auszutrocknen. „Wer sagt, daß das eine hilflose Maßnahme ist,“ so die Logik des Verteidigungsministers. „muß härtere Maßnahmen vorschlagen.“ Für ihn sei die grundsätzliche Frage, ob Deutschland fähig sei zur Solidarität. „Richtig ist, daß die Welt sich völlig verändert. Und wir müssen uns mitverändern.“ Er will „zusammen mit unseren Bündnispartnern eine neue Sicherheitspolitik für eine neue Zeit.“ Wenn wir jeweils mit den Partner gemeinsame handeln, so Rühe „dann können wir in der Regel keinen Fehler machen“. Wahrscheinlich hat der Verteidigungsminister damit unfreiwillig die ganze Substanz der neuen deutschen Außenpolitik beschrieben.
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