: DIE KLEINE MEDIENPRAXIS — FRAU DR. MONIKA ÜBER TV-AUFTRITTE
Mittwoch abend, gegen 21Uhr: Die Medienpraxis ist längst geschlossen. Da ruft B., ein langjähriger Patient, an. Ein Freund des Hauses noch dazu, den man nicht auf den nächsten Tag vertrösten kann. Morgen müsse er live im Fernsehen auftreten, als Pro-Redner in einer Diskussionsrunde zum Thema „Sex und sportlicher Erfolg“. Aber er sei doch gar kein sportlicher Typ, gebe ich zu bedenken, und daher eine glatte Fehlbesetzung. „Stimmt“, entgegnet mein Patient, „aber ein Bekannter eines Freundes hat dem verantwortlichen Redakteur der Sendung erzählt, daß ich eine Doktorarbeit über die Leistungsfähigkeit verheirateter Hochspringerinnen geschrieben habe.“ In Wirklichkeit meinte der wohl B.s Magisterarbeit über „Die deutsche Freikörperkultur der 20er Jahre“, aber egal. Jetzt hat er Angst, möchte die Chance, vor Millionen von Zuschaueraugen zu treten, nicht verpatzen. Eigentlich ist B. ja ein überaus kritischer TV-Nutzer, der für die Trivialität des Massenmediums Fernsehen nur Hohn und Spott übrig hat. Sobald jedoch aufgeklärte Linksintellektuelle unerwarteterweise vor die Kamera gebeten werden, wird das kritisierte Medium plötzlich wieder zur einflußreichen, ehrfurchtgebietenden Institution. „Okay“, rate ich, „wenn wir die grundsätzlichen Bedenken eines solchen Auftritts mal beiseite lassen, ist die wichtigste Frage: Wer ist der Kontrahent in dem Streitgespräch?“ — „Ein einfußreicher Journalist einer rechtskonservativen Zeitung“, erklärt B., „fachkundig und außerdem ein TV-Profi.“ Ich versuche ihn zu beruhigen, denn im Fernsehen geht es nun mal nicht darum, was jemand sagt, sondern wie er es sagt. „Da dein Gesprächspartner älter und bekannter ist als du, wird er als erster nach seiner Meinung gefragt“, versicherte ich ihm. „Das wirst du dir gelassen anhören, aber auf jeden Fall darauf eingehen. Statt dessen leitest du mit einer eleganten Formulierung zu deinen Argumenten über, die du heute Nacht vor dem Spiegel solange einübst, bis sie dir ganz spontan über die Lippen gehen. Falls der Moderator dich mit dem Hinweis auf die begrenzte Redezeit unterbrechen will, gibst du ihm mit einer scherzhaften Wendung zu verstehen, daß du nur nur noch diesen einen Gedanken zu Ende führen willst.“ Außerdem weise ich ihn darauf hin, daß es von Vorteil sei, einige provozierende Thesen ganz beiläufig und mit einem höflichen Lächeln in die Runde zu streuen. „Dabei sollte die Frauenproblematik nicht unerwähnt bleiben“, ergänze ich, „denn aus dem Munde eines Mannes kommen feministische Statements immer gut an. Bloß nicht agitieren. Immer schön locker, entspannt und mit Humor.“ „Welche Thesen denn?“ fragt B. verwirrt. „Das ist doch zweitrangig“, beruhige ich ihn. „Entscheidend ist, daß du dir für den Fernsehauftritt morgen abend etwas Legeres anziehst — am besten Baumwolle. Die nimmt den Schweiß gut auf. Denn im Studio ist es höllisch heiß, und nichts wirkt unangenehmer als ein schwitzender Mann im Scheinwerferlicht. Und niemals die Beine überschlagen. Denn diese behaarte Lücke zwischen Hosenbein und Strumpfansatz sieht extrem unvorteilhaft aus.“ — „Ja, und das Thema?“, sagt B. noch einmal kleinlaut, bevor er auflegt. (P.S.: B. ist jetzt Ko-Moderator der betreffenden Sendung.)
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