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Dada ruht im Reclamheft

Zur Neuausgabe von Richard Huelsenbecks Autobiographie und Hugo Balls Tagebüchern  ■ Von Peter Laudenbach

Die Begeisterug für die Dadaisten, die es in den siebziger Jahren im Feuilleton und der Kunst- Szene immer wieder gab, ist längst abgeflaut. Unbekümmert um solche Schwankungen der intellektuellen Moden haben zwei kleine Verlage lange vergriffene Texte zentraler Dada-Protagonisten neu aufgelegt: die erstmals 1957 veröffentlichte Autobiographie Richard Huelsenbecks und Hugo Balls Tagebuchaufzeichnungen, die zum erstenmal in Balls Todesjahr 1927 erschienen sind.

Huelsenbecks Autobiographie, anläßlich seines 100.Geburtstages von den Dada-Spezialisten der Edition Nautilus neu herausgegeben, ist ein aufschlußreiches Zeitdokument und eine literarische Enttäuschung. Das Buch, während dessen Niederschrift Huelsenbeck in New York lebte, zeigt nichts von der sprachlichen Dynamik, die die frühen Texte zu literarischen Sprengsätzen machte. Aber der Vorwurf, daß seine Autobiographie eine ziemlich dadaferne Angelegenheit sei, würde Huelsenbeck kaum treffen. Er versucht gar nicht, die Distanz zwischen den Dada-Jahren und der Gegenwart des sich Erinnernden zu überspielen: „So sitzen wir in New York zusammen und gedenken der guten Zeiten. Wir sind mittlerweile alt geworden...“ Huelsenbeck macht aus dem historischen Abstand den zeitgeschichtlichen Rahmen Dadas sichtbar, und diese Perspektive ist es, die sein Buch zum spannenden Dokument macht: Das „Aufzeigen des Nichts, des Wahnsinns, der Zerstörung“, das die dadaistischen Manifestationen betrieben, war nur während des Ersten Weltkrieges „zeitgebunden und schmerzhaft realistisch“, notiert er und „fragt sich, ob den Anstrengungen, die wir damals machten, heute Aufmerksamkeit geschenkt würde“. Das trifft präzise den Punkt, der alle modischen Manöver unbedarfter Imitatoren heute so uninteressant macht.

Nicht nur Dada, auch Huelsenbecks Erinnerungen daran sind historisch geworden: ein Buch aus den fünfziger Jahren. Huelsenbeck erinnerte damit an eine nach dem Faschismus gründlich vergessene Kunstrichtung. Seine Autobiographie ist mit den kurz zuvor erschienenen Memoiren von George Grosz („Ein kleines Ja und ein großes Nein“) einer der ersten Versuche, Dada aus der Versenkung zu holen. Was damals ein wichtiges Durchbrechen des Vergessens markierte, bietet heute oft nur eine Variation des längst Bekannten. Zeittypisch und mittlerweile ziemlich befremdlich wirken die obskuren Manöver Huelsenbecks, Dada zum Vorläufer des Existentialismus zu machen, gegen die bereits 1957 Huelsenbecks ehemaliger Kombattant Raoul Hausmann heftig prostierte. Ebenso verärgert liest man Huelsenbecks Versicherung, weder er noch Dada habe etwas mit den bösen Kommunisten zu tun gehabt. Erstens ist das schlicht falsch, da der harte Kern der Berliner Dadaisten (Franz Jung, George Grosz, John Heartfield) von der Kunstrevolte zur politischen Revolte und von Dada zur KPD übergingen, und zweitens ist es abstoßend, wie bereitwillig Huelsenbeck den antikommunistischen Konformismus in den Jahren des Kalten Krieges bedient.

Im Züricher „Cabaret Voltaire“, der Geburtsstätte des Dadaismus, gehörte neben Huelsenbeck der 1915 in die Schweiz emigrierte Hugo Ball zu den entscheidenden Köpfen. In seinen berühmt gewordenen Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1913 bis 1921 wird der intellektuelle Hintergrund Dadas sichtbar, der, zumindest bei Ball, einiges mehr zu bieten hat, als das geläufige Klischee glauben will, das in Dada nur „Ulk mit Weltanschauung“ (Alfred Kerr) sieht. Es ist irritierend, Huelsenbecks Memoiren und Balls Aufzeichnungen nebeneinander zu lesen: bei Huelsenbeck ziehen die Happenings von vorgestern am Leser vorüber, die Lektüre gleicht einem Museumsbesuch. Bei Ball erlebt man das Gegenteil: So sehr seine Tagebuchaufzeichnungen im Kontext der Zeit entstehen und von den Dada-Manifestationen im „Cabaret Voltaire“ berichten, so wenig erlauben sie dem heutigen Leser die selbstgefällige Gemütlichkeit des historischen Rückblicks; über weite Passagen liefern sie verquere und scharfsinnige Provokationen, ein wuchernder, irritierender Reichtum, der seltsame Entdeckungsreisen zu bieten hat.

Ball sieht, ähnlich wie Huelsenbeck, in Dada eine Reaktion auf das geistige Vakuum und das Grauen der Kriegszeit. Die alten Werte sind bankrott, die Leere wird durch blinde Betriebsamkeit überspielt: „Der Dadaist kämpft gegen die Agonie und den Todestaumel der Zeit. Er weiß, daß die Welt der Systeme in Trümmer ging, und daß die auf Barzahlung drängende Zeit einen Ramschausverkauf der entgötterten Philosophien eröffnet hat. Wo für die Budenbesitzter der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt, da beginnt für den Dadaisten ein helles Gelächter und eine milde Begütigung.“ Es ist spannend, zu beobachten, wie Ball seine „Flucht aus der Zeit“ nach der Ablösung von Dada mit einem merkwürdigen asketisch-mystizistischen Katholizismus fortsetzt: Wenn die Epoche keine Werte zu bieten hat, muß man entweder selbst welche schaffen (Dada) oder an ältere Schichten anknüpfen (Religion). Es ist das Verdienst der neuen Ausgabe der Tagebücher, diese Entwicklung Balls, die viele seiner Dada-Begleiter abgestoßen hat, sichtbar zu machen. In der zuletzt erschienenen Edition des Buches (Köln, 1971) wurden die entsprechenden Passagen zensiert, offenbar wollte man das glatte Bild des Avantgardisten bewahren und vor dem widersprüchlichen, suchenden und gerade damit interessanten Ball retten.

Nebenbei bemerkt findet sich in den zitierten Zeilen Balls die Erklärung für die Faszination, die Dada für den literarischen Untergrund der Endphase der DDR hatte: Eine Kunst, die „weiß, daß die Welt der Systeme in Trümmer ging“, ohne ein neues System errichten zu wollen, war die einzige angemessene Antwort auf die ideologischen Häuptlinge von Hager bis Heiner Müller. Auch vor dem Hintergrund der zusammengekrachten politischen Ideologien ist es interessant, Balls Aufzeichnungen heute zu lesen. Bereits 1916 liefert der Bakunin-Leser Ball sozusagen mit dem Röntgenblick eine hellsichtige Analyse des Kommenden: „Ist der Dadaismus wohl als Zeichen und Geste das Gegenbeispiel zum Bolschewismus? Stellt er der Destruktion und vollendeten Berechnung die völlig donquijotische, zweckwidrige und unfaßbare Seite der Welt gegenüber? Es wird interessant sein zu beobachten, was dort und was hier geschieht.“ In der Tat. Am Gegensatz vom zweckfreien, „donquijotischen“ Spiel der Kunst zur „Destruktion und vollendeten Berechnung“ nicht nur des autoritären Kommunismus hat sich nichts geändert.

Wie andere zu Bildungsgut gewordenen Avantgarden, hat auch Dada in einem Reclamheft seine letzte Ruhestätte gefunden. Einige der im „Cabaret Voltaire“ vorgetragenen Texte, etwa ein „Krippenspiel, bruitistisch“, dazu Manifeste und Dokumente der Züricher Dadaisten, versammelt ein neues Büchlein, das Karl Riha, der publizistisch regeste Dada-Forscher, herausgegeben hat: ein informativer, kenntnisreich zusammengestellter Querschnitt der dadaistischen Attacken.

Richard Huelsenbeck: „Mit Witz, Licht und Grütze“. Mit acht Fotografien und einem Nachwort von Reinhard Nenzel. Edition Nautilus, 160Seiten, 28DM.

Hugo Ball: „Die Flucht aus der Zeit“. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Bernhard Echte. Limmat Verlag, 366Seiten, 58DM.

Karl Riha (Hg.): „Dada Zürich. Texte, Manifeste, Dokumente“. Reclams Universalbibliothek, 176Seiten, 9DM.

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