: Aids-Impfstoffe bald im Großversuch
■ In spätestens drei Jahren sollen die ersten Impfstoffe gegen Aids erprobt werden - doch das Virus breitet sich in der Dritten Welt immer schneller aus
Aids-Impfstoffe bald im Großversuch In spätestens drei Jahren sollen die ersten Impfstoffe gegen Aids erprobt werden — doch das Virus breitet sich in der Dritten Welt immer schneller aus
VON MANFRED KRIENER
Es sollte ein Gesundheitsgipfel der Hoffnung und nicht der Verzweiflung werden, doch am Ende gab es von beidem genug. Die schlechten Nachrichten: Das Virus ist in die Metropolen Asiens eingedrungen und breitet sich dort mit einer Geschwindigkeit aus, die selbst die afrikanische Epidemie in den Schatten stellt. Die thailändische Hauptstadt Bangkok registrierte 1987 die ersten sechs Aids- Erkrankten. Auch heute sind erst 109 Aids-Fälle gemeldet. Aber die Zahl der Infizierten ist mit 100.000 Personen bereits so groß wie in der BRD.
Auch in Afrika und Lateinamerika kennt Aids „keinen Respekt vor unseren Tränen“, so Hector Aceveda, Bürgermeister von San Juan auf Puerto Rico. 7,5 Millionen Menschen sind inzwischen in Afrika mit dem Aids-Virus infiziert, der Kontinent steht vor einer beispiellosen sozialen Verheerung. Allein in diesem Jahr werden in Afrika 750.000 HIV- infizierte Kinder auf die Welt kommen, im nächsten Jahr werden es mehr als eine Million sein. Schon heute sind acht von zehn Patienten in den Krankenhäusern der afrikanischen Metropolen Aids-Kranke. Bis zum Jahr 2000 erwartet die WHO in Afrika zehn bis zwanzig Millionen Waisen, deren Eltern an der Immunschwäche gestorben sind.
In Lateinamerika sind jetzt eine Million Menschen mit HIV infiziert, einige Länder meldeten einen 40fachen Anstieg der Aids-Fälle in den letzten vier Jahren. Eine Stichprobe unter Prostituierten in Honduras ergab, daß ein Drittel infiziert ist. In Brasilien, Argentinien und Uruguay sind unter Drogenabhängigen etwa 20 Prozent infiziert. Ähnliche und noch höhere Zahlen wurden unter den Straßenkindern der großen Metroplen ermittelt.
Die Afrikaner organisieren sich
Die guten Nachrichten kommen vor allem aus Afrika. Nach einem jahrelangen Verleugnen der Aids-Problematik wird jetzt in den Dörfern und Städten in vielen afrikanischen Ländern verstärkt der Kampf gegen Aids organisiert. Ortsvorsteher in Sambia, Lastwagenfahrer in Tansania, Prostituierte in Simbabwe, Militärrekruten in Ruanda — überall, so wurde berichtet, werden Anti-Aids- Initiativen gegründet, wird aufgeklärt, für Kondome und Safer sex geworben. Erst die direkte Konfrontation mit der wachsenden Zahl von Kranken und Toten hat diesen Wandel zustande gebracht. Daß die Anstrengungen noch lange nicht ausreichen, um die Aids-Lawine zu stoppen, wurde immer wieder betont, aber es ist wenigstens ein Anfang.
Wer keine Wunder erwartet hat, wird auch von den Fortschritten bei Therapie und Impf-Programmen nicht enttäuscht sein. Schon in zwei, spätestens drei Jahren sollen die ersten Impfstoffe gegen Aids an mehreren großen Gruppen von jeweils 2.000 bis 5.000 Freiwilligen getestet werden. Die Versuche sollen in verschiedenen Regionen der Welt mit Schwerpunkt in Afrika und mit verschiedenen Impfstoffen stattfinden. Auch wenn diese Tests noch Versuchscharakter haben — es sind nichts anderes als Arzneimittelerprobungen — ist der amerikanische Impfstoff-Spezialist Daniel Hoth überzeugt, daß es noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts einen Impfstoff mit einer zumindest 60prozentigen Wirksamkeit gegen HIV geben wird. Auf einen 90prozentig wirksamen Impfstoff zu warten, hieße, weitere zehn Jahre Zeitverlust in Kauf zu nehmen.
Weltweit wird derzeit mit zwölf verschiedenen Impfstoffen gearbeitet. Die meisten bestehen aus einzelnen Hüllproteinen des Aids-Virus, also Teilen seiner „Außenhaut“. Daneben wird auch mit ganzen — inaktivierten — Aids-Viren oder mit nachgebauten „Pseudoviren“ experimentiert. Sie werden Patienten direkt injiziert und sollen die Immunantwort hervorlocken: Antikörper, die vor einer späteren Ansteckung mit dem „echten“ Virus schützen. Keiner der Impfstoffe ist bisher über die sogenannte Phase-I-Versuche hinausgekommen, das sind kleinere Studien mit wenigen Freiwilligen. Immerhin hat sich dabei aber gezeigt, daß diese Impfstoffe von den Patienten gut vertragen werden. Die Immunantwort sei manchmal nur schwach gewesen, sie konnte aber, so Hoth, mit den neuesten Impfstoffen merklich gesteigert werden.
Der ugandische Aids-Koordinator Steven Lwanda machte unmißverständlich klar, daß sein Land bei den Impfstoff-Tests zwar kooperieren werde, sich aber nicht beliebig benutzen lasse. Das Mißtrauen der Afrikaner ist groß, und es ist berechtigt. Werden die Impfstoffe nach erfolgreichen Tests den Afrikanern auch in ausreichender und vor allem in bezahlbarer Form zur Verfügung stehen? Oder werden sie, wie schon die Arzneimittel AZT, DDI und DDC, für die Entwicklungsländer unbezahlbar bleiben? Werden die Tests auch in den USA und anderen Industrienationen oder nur in Afrika stattfinden? Werden die Afrikaner an den Profiten beteiligt, die mit den Impfstoffen erzielt werden? Ist eine internationale Aufsicht, unabhängig von der Herstellerfirma, garantiert? All diese Fragen müßten geklärt werden, bevor, so Lwanda, auch nur ein einziger Ugander geimpft werde.
Dazu kommen die ethischen Probleme. Diskutiert wurde vor allem die Frage, ob es vertretbar sei, der Kontrollgruppe nur ein Placebo zu impfen. Zudem bereitet die Tatsache Sorge, daß die Impfung als Freifahrschein für neues Riskoverhalten, sprich: ungeschützten Sex, mißverstanden werden könnte. Zu den medizinischen Problemen gehört neben dem Risiko möglicher, bisher nicht entdeckter Nebenwirkungen vor allem die Veränderung des Immunstatus. Die Testpersonen sind nach einer erfolgreichen Impfung beim Antikörpertest HIV-positiv. Wie wird sich dann eine später erfolgte, tatsächliche Infektion nachweisen lassen? Auch die hohe Mutationsrate von HIV bereitet Sorgen. Da das Virus ständig sein Gesicht verändert, sind die Impfstoffe vielleicht schnell veraltet und gegen bestimmte Varianten von HIV unwirksam. Unklar ist auch, wie lange der Impfschutz vorhält und wie oft die Impfung wiederholt werden muß.
Erfolge bei der Kombi-Therapie mit AZT
In der Aids-Therapie zeichnet sich ein Wandel ab. Das bekannte Aids- Medikament AZT bleibt zwar erste Wahl, aber die Kombination mit anderen Mitteln soll frühzeitiger, vielleicht von Anfang an, erfolgen, um die befürchteten Resistenzen des Aids-Virus gegen AZT gar nicht erst entstehen zu lassen. Daneben befinden sich eine ganze Reihe von Wirkstoffen in der Testphase. Die meisten von ihnen sind unbekannte Hoffnungsträger mit vier Buchstaben wie etwa die PMEAs und TSAOs, die aber im Labor und im Tierversuch hochwirksame antivirale Eigenschaften zeigen. Es ist ein Erlebnis, die kaum 30jährigen amerikanischen Virologen zu sehen, wenn sie über ihre Tests mit den neuen Substanzen berichten. Man versteht kein einziges Wort.
Auffällig in Amsterdam war die stärkere Präsenz der Afrikaner. Von den 11.000 TeilnehmerInnen kamen diesmal 1.400 aus Afrika. Auch andere Entwicklungsländer hatten größere Delegationen geschickt. In den Veranstaltungen kamen die eindrucksvollsten Beiträge oft von ihren Vertretern. „Mein Volk hat mich zu Euch geschickt, um alles über Aids zu sagen“, schrie der Bürgermeister von Nairobi, Daniel Kongo, und berichtete mit bebender Stimme, wie selbst die 15jährigen in seiner Stadt in immer größerer Zahl an Aids sterben. Auf der ersten Pressekonferenz hatten die Veranstalter gerade über die Superlative des Kongresses gejubelt („mehr Teilnehmer, mehr Vorträge, mehr Kommunikation“), als der Vertreter einer ugandischen Radiostation leise feststellte, daß im vergangenen Jahr auch „mehr gestorben sind“. Auch auf den Podien waren die RednerInnen aus Entwicklungsländern stärker vertreten. Da wurden Vorträge unterbrochen und die Trommel geschlagen. Ein Sozialwissenschaftler hielt seinen Vortrag mit Kopfschmuck und traditioneller Bemalung und sang zwischendurch ein Lied. Szenen, die kein Teilnehmer vergessen wird, und die man sich im nächsten Jahr auch in Berlin wünscht.
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