■ AUS POLNISCHER SICHT: Der Westen des Ostens
Erst ein gefühlsgeladener, enthusiastischer Text des Moskauer Korrespondenten von Gazeta Wyborcza, der nach zwei Jahren Abwesenheit nach Polen zurückgekehrt ist, hat die polnische Öffentlichkeit wachgerüttelt: Die knapp drei Jahre der postkommunistischen Regierungen in Polen sind keineswegs vermasselt worden. Im Gegenteil, die eingeleiteten Reformen sind seit Jahrzehnten der erste nationale Erfolg Polens, der ohne Krieg und Aufstand erreicht wurde. Szymon Bojko vergleicht die Lage in Rußland mit der polnischen und kommt zum Fazit, daß für die Russen der Westen am Bug beginnt.
Wie den deutschen Wohlstand die Gastarbeiter aufgebaut haben, helfen jetzt die GUS-Bürger, den polnischen Kapitalismus zu entwickeln. Sie sind froh, für ein Drittel der polnischen Löhne arbeiten zu dürfen, und die Erlebnisse ähneln den polnischen in Deutschland in vielen Details: Die hochqualifizierten Fachkräfte, wie Ärzte und Ingenieure, verdienen das »bessere Geld« als einfache Arbeiter, der Handel mit allen möglichen Waren aus dem Osten wird getrieben, und dabei wiederholt sich sogar die Tatsache, daß die in der Heimat der Verkäufer hochbegehrten Mangelwaren kaum Nachfrage finden, oft nur aus Mitleid und wegen der Dumpingpreise gekauft werden.
Vielleicht nur ein fundamentaler Unterschied ist zu benennen: die Mentalitäten der Polen und der Russen (der Ukrainer, der Weißrussen...) unterscheiden sich nicht so gewaltig, wie die der Deutschen und der Polen; man versucht zwar einige illegale Auswüchse einzudämmen, den Schmuggel zu kontrollieren, den schwarzen Arbeitsmarkt zu reglementieren. Es scheint aber, daß es vielmehr als eine Pflicht des Rechtsstaates angesehen wird, der diese Regulierungsfunktionen ausüben sollte. Das Volk — darunter auch die kleinen Beamten — scheint es nicht besonders zu stören, daß sich die ehemaligen Hegemonen als arme Einwanderer in immer größeren Zahlen im »Weichselgouvernement« (die zaristische Bezeichnung) niederlassen. Sicherlich spielt hier die fehlende Sprachbarriere eine wichtige Rolle, die slawischen Sprachen sind verwandt, und ich habe neulich gehört, wie sich eine Händlerin aus Rußland mit einem Händler aus Ukraina auf polnisch unterhielt.
Piotr Olszowka
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen