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Am Ende der Reise

■ Bosnische Flüchtlinge seit gestern abend im Wohnwagendorf

Auf dem Marktplatz herrscht am Montag mittag hektische Betriebsamkeit. Die letzten Vorbereitungen für die Ankunft der bosnischen Flüchtlinge laufen auf vollen Touren. Die Mitarbeiter der AG Flüchtlingshilfe wissen nicht, wann die Emigranten eintreffen und wieviele es sein werden. Von 136 Menschen ist die Rede, „aber es können auch 180 werden“, ahnt Julia Reiser, freiwillige Helferin bei der Arbeiterwohlfahrt. Doch auch darauf ist man in Poppenbüttel vorbereitet: „Dann wird es halt ein bißchen enger“.

Vorerst beschäftigen die wie Ameisen durch die Gegend wuselnden Helfer noch ganz andere Dinge. Ein Abwasserrohr ist geborsten, muß bis zur Ankunft der bosnischen Gäste noch geflickt werden. Einige der 45 Wohnwagen, Modell Adria, sind noch nicht an die Stromversorgung angeschlossen. In den Küchencontainer hieven zwei muskelbepackte Elektroinstallateure noch schnell zwei fabrikneue Waschmaschinen. Währenddessen gräbt ein Schaufelbagger die Erde am Rande des Flüchtlingsquartiers um. Hier soll ein kleiner Spielplatz entstehen; die Geräte werden für Mittwoch erwartet.

Ein ehemaliges Autohaus ist zum Koordinationsbüro und Aufenthaltsraum ausgebaut worden. Auf jedem der langen schmalen Tische, wie man sie sonst von Schützenfesten kennt, steht eine Flasche Mineralwasser und eine Tüte Apfelsaft. Die Bänke reichen nur für 100 Menschen - eng gedrängt. In diesem Raum erhalten die Bosnier am Abend ihre erste warme Mahlzeit in Hamburg. Für drei Tage haben die Helfer Verpflegung geordert, dann sollen die Neuankömmlinge selbst ihre Mahlzeiten einkaufen und in ihren Wohnwagen zubereiten. Nach dem ersten Abendbrot bekommt jeder von ihnen eine mausgraue Wolldecke, ein Kopfkissen und ein Handtuch in die Hand gedrückt. Pro Wagen gibt es ein Stück Seife und eine Zahnpastatube.

Viele Anwohner haben in den vergangenen Tagen den Platz am Poppenbüttler Moorhof besichtigt, oftmals mit Spenden unterm Arm. Doch die Helfer können in den engen Nebenräumen der Aufenthaltshalle nichts lagern, bitten die Besucher meist die Sachen direkt zum Roten Kreuz zu bringen. Manchmal fühlen sich die Helfer vor Ort auch als Müllhalde mißbraucht. „Heute beginnt der Sommerschlußverkauf“, verkündet ein älterer Poppenbüttler, der zwei Säcke Klamotten mitgebracht hat, „da muß der alte Plunder aus dem Schrank“.

Das Fruchtcontor hat 20 Kisten Bananen gestiftet - überreif und viel mehr, als selbst der hungrigste Flüchtlingsmagen aufnehmen kann. „Die fangen in drei Tagen an zu faulen und zu stinken“, befürchtet Werner Busacker, der die technische Betreuung des Platzes übernommen hat. „Am meisten“, so weiß er, „ist uns mit Geldspenden geholfen“.

Die Eingewöhnung in der neuen Heimat soll Dominik Raguz, der vor vier Jahren aus Kroatien nach Deutschland kam, den Flüchtlingen erleichtern. Als Dolmetscher ist er unabdingbar. Doch vor allem will sich der ausgebildete Lehrer in Zusammenarbeit mit der Schul- und der Sozialbehörde darum kümmern, daß für die mitreisenden Kinder geeignete Schulmöglichkeiten gefunden werden. „Notfalls kann ich ihnen auch selbst Deutsch beibringen“ freut sich der 54jährige auf die Ankunft seiner Landsleute.

Für drei Monate sind die Wohnwagen gemietet, so lang laufen auch die Verträge der Mitarbeiter. „Länger können die Flüchtlinge nicht hierbleiben“, sagt Werner Bussacker, „die Wohnwagen sind nicht winterfest“. Viele Hamburger haben sich bei der Arbeitsgemeinschaft (AG) Flüchtlingshilfe bereits gemeldet; angeboten, einzelne Bosnier aufzunehmen. „Hier müssen wir noch sehr sorgfältig sortieren“, sagt AG-Mitarbeiter Dieter Ackermann. Ein männlicher Anrufer hatte allzu detaillierte Vorstellungen von dem Gast, den er beherrbergen will: „Bitte schicken sie mir eine 19-Jährige“. Marco Carini

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