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VILLAGE VOICEGeräusche auch für die Neunziger

■ Nachsichtige Melancholie und Veralberung großer Gefühle: »Elation« von Malaria!

Es muß neun Jahre her sein, da sang Ulla Meinecke von einem unsteten Geschöpf, das sich in Nachtlokalen herumtrieb und die Herzen brach. Nach mehreren Strophen hatte ihr lyrisches Ich dieses Wesen ins Auto verpflanzt: „Komm, jetzt fahren wir den Tank leer«. Landauf, landab leierte dieses Stück namens »Frauenliebe« — zusammen mit Ina Deters Behauptung, Frauen kämen langsam et cetera — durch die Cafés, in denen sich die Jugend der Neuen Deutschen Welle aufhielt.

Während Deter sich noch mit Forderungen quälte, waren fünf Berliner Musikerinnen längst zur Tat geschritten und hatten die neuen deutschen Töne in Großbritannien und den USA bekannt gemacht. Malaria!, 1981 nach der Auflösung von Mania D von Bettina Köster und Gudrun Gut gegründet, waren in den Sessions von John Peel zu Gast, und schon im folgenden Jahr kam ihre zweite Maxi von der nordamerikanischen Ostküste. Das Cover von »New York Passage« führte mit Schwarzweißfotos vor, wie die neuen Frauen aussehen könnten, die das Land brauchte: brillantierte Pagenköpfe, ernster Blick und die Hände tief in den Taschen der Bundfaltenhosen. »Your Turn to Run« hieß ein Stückchen im flotten NDW-Takt, in dem Köster mit aufmüpfiger Stimme den Schlußstrich unter ein Verhältnis zog, das nur im Warten auf einen Anruf besteht. Selbstbewußt quäkte ein Saxophon dazu — das war damals so üblich.

Doch den legendären Ruf von Malaria! haben nicht diese Miniaturen allein begründet. Köster und Gut beteiligten sich an den Anfängen der Einstürzenden Neubauten, Gut schuf in Hamburg mit Frieder Butzmann und dem Projekt »Liebesgier« »Geräusche für die Achtziger« und gründete, nachdem Köster nach Amerika ausgewandert war, zusammen mit Beate Bartel und dem alten Malaria!-Mitglied Manon P. Duursma die experimentelle Combo Matador. Als Matador vor zwei Jahren mit Nick Cave durch die Vereinigten Staaten tourten, wurde das Wiedersehen mit der ehemaligen Malaria!-Sängerin mit einem Demo gefeiert: »Old Man River«

Der Titel ist jetzt das vierte und letzte Stück der Maxi »Elation«, die Köster, Duursma und Gut — als wiedervereinigte Malaria! auch ihrem edlen Styling treu geblieben — auf Moabit Records herausgegeben haben. Die elegische Hommage an den Blues, von dem Foetus-Mann Jim Thirlwell produziert, ist das schwächste und schwerfälligste Stück der Platte.

Die drei anderen, die unter der Regie des Berli

ner Dancefloor-Musikers Johnny Klimek entstanden, passen Stimmung und Takt der Deutschen Welle dem neuen Jahrzehnt an. In »Slow Rotation«, Höhepunkt des knapp zwanzigminütigen Oeuvres, suggeriert der monotone Takt der Elektronik die ewige Wiederkehr des Gleichen. Dazu besingt Köster mit tiefer Stimme das menschliche Mühen auf dieser Welt und steigert sich, wie in den besten Zeiten düsteren Wave- Pops, in schwermütige Melodramatik. »Elation« wiederum zitiert die hektischen Dissonanzen, die auch »Your Turn to Run« bestimmt hat, und verwandelt sie zu federnden Gitarrenakkorden, die zwar nicht Hochgefühle (»Elation«), doch zumindest gute Laune wecken. »Flittchen« schließlich rettet mit zehnjähriger Verspätung Ulla Meineckes verpatzte Liebeserklärung an die flatterhafte Gestalt aus den Nachtsalons. Mit nachsichtiger Melancholie findet sich Köster in dem kleinen Chanson mit der Untreue des kindlichen Wesens ab. Ein herzzerreißendens Schluchzen veralbert im Hintergrund die großen Gefühle. Die nicht mehr so neuen Frauen sind weise geworden. Claudia Wahjudi

Malaria!: »Elation« (Moabit 010/ EFA CD 02763)

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