Tricks in petto

■ In Deutschland ist die Romanvorlage zu „Rote Laterne“ nur schlampig übersetzt zu haben

Rote Laterne“ heißt Su Tongs Roman in der deutschen Fassung, obwohl rote Laternen in ihm nicht ein einziges Mal vorkommen — sie spielen nur im Film eine Rolle. Nach der Lektüre des im Goldmannverlag der Bertelsmanngruppe erschienenen Paperbackbändchens packt bittere Wut die LeserIn ob der Lieblosigkeit, mit der die deutsche Fassung herausgegeben worden ist. Der Verlag hält es nicht für nötig, den Originaltext zur Übersetzung zu geben und jagt einen Menschen an die französische Ausgabe. Lektorin Ulrike Kloepfner begründet das mit Zeitnot. Das Originalmanuskript sei so schnell aus China nicht zu haben gewesen. Da das Buch rechtzeitig zum Filmstart erscheinen sollte, habe man auf die französische Ausgabe zurückgegriffen. Selbstverständlich seien SinologInnen zu Rate gezogen worden. Zu einer wenigstens annähernd kongenialen Übersetzung hat dieses Zickzackspiel jedoch nicht geführt.

Die Misere beginnt, wie gesagt, beim Titel. Qiqie Chengqun heißt der Roman im Original, was sich etwa mit „Ehefrauen in Gruppe“ übersetzen läßt. Davon weiß die Lektorin nichts, sie kennt nur die französische Übersetzung Epouses et Concubines, Ehefrauen und Konkubinen, was dem Original näher kommt und außerdem zum Roman paßt. So hätte der Roman auch im Deutschen heißen müssen.

Die deutsche Übersetzung ist holprig bis zur Schmerzgrenze: „Zhuoyun wirkt so gutmütig und großzügig, doch sie hat das Herz eines Skorpions! Sie hat mehr als einen Trick in petto!“ Sich angesichts solcher Flapsigkeit distinguiertes Ambiente in einer traditionsbewußten chinesischen Familie vorzustellen, fällt schwer. Aber weder der Übersetzer noch die Lektorin haben's gemerkt. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Auch rein deutschsprachige Stilblüten finden sich: „Yuru, die nichts Weiteres mehr dulden konnte, klopfte tobend mit ihren Stäbchen auf den Tisch.“

Über einen derart verstümmelten Roman zu urteilen, scheint vermessen, wäre nichts als Lavieren zwischen Spekulation und Fortsetzung der Unverschämtheit des Verlages. Bleibt der Verweis auf die französische Ausgabe, die erschienen ist, bevor die Verfilmung in die Kinos kam. Friederike Freier

Su Tong: Rote Laterne. Übertragung aus dem Französischen von Stefan Linster. München: Goldmann Verlag 1992, 9.80 DM

Su Tong: Epouses et Concubines. Aus dem Chinesischen von Annie Au Yeung und Francoise Lemoine. Paris: Editions Flammarion 1991