: Serbien: Milosevic schlägt zurück
Ein Beschluß des Belgrader Parlaments bestimmt, daß „Ansammlungen von mehr als drei Personen“ genehmigt werden müssen/ Beschränkung richtet sich gegen die Opposition und die Minderheiten ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler
Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen der Opposition, das Belgrader Milosevic-Regime zu stürzen, schlägt dieses nun zurück: Ein neues Versammlungsgesetz, das am späten Dienstag abend im serbischen Parlament mit den Stimmen der Sozialistischen Partei Milosevics und der neofaschistischen Partei des Cetnikführers Vojislav Seselj verabschiedet wurde, sieht vor, daß Ansammlungen von mehr als drei Personen auf „öffentlich zugänglichen Orten“ nur dann erlaubt sind, wenn sie mindestens fünf Tage zuvor angemeldet werden. Die Verklausulierung „öffentlich zugängliche Orte“ ermöglicht bei einer scharfen Auslegung des Gesetzes bereits die Kriminalisierung von Diskussionsveranstaltungen in Jugendclubs oder Kneipen. Und genau dies soll mit dem neuen Versammlungsgesetz auch erreicht werden. Cetnik-Führer Vojislav Seselj: „Die Staatsfeinde Serbiens durchsetzen unsere Gemeinschaft bereits in den Schulen, Jugendclubs und einschlägigen Kneipen, ihnen müssen wir mit allen Methoden das Handwerk legen.“ Die Oppositionsparteien, die die letzten Wahlen boykottierten und im Parlament nicht vertreten sind, sehen in dem neuen Gesetz „einen weiteren Schritt zur totalitären Diktatur“. Die regimekritischen Politiker sind davon überzeugt, daß mit dem neuen Gesetz Straßenproteste, wie sie in den letzten Monaten in Belgrad alltäglich waren, generell kriminalisiert werden können. Demonstrationen für ein Ende des Krieges in Bosnien und für den Rücktritt Milosevics wären so nicht mehr möglich.
Bei Verstößen gegen die Versammlungsbegrenzung gibt es ab nun mindestens 20 Tage, in schweren Fällen bis zu fünf Jahren Haft. Des weiteren soll in einem Zusatzprotokoll — so wollen es Eingeweihte bereits wissen — die Armee berechtigt worden sein, bei „illegalen Ansammlungen“ ohne Vorwarnung eingreifen zu können.
Richten sich diese Maßnahmen zum einen gegen die serbische Opposition, so zum anderen auch gegen alle Minderheiten des neuen und international nicht anerkannten Staates Rumpf-Jugoslawien. Denn im Windschatten des Krieges in Bosnien werden den eigenen Minderheiten, den zwei Millionen Kosovo-Albanern, den 400.000 Ungarn der Vojvodina und den Muslimanen des Sandzak ihre Minderheitenrechte Schritt für Schritt genommen. Beobachter schließen daher nationale Unruhen nicht mehr aus. Während bisher vor allem Schulen geschlossen, der Unterricht in den Minderheitensprachen verboten und zweisprachige Ortstafeln durch serbische ersetzt wurden, so häufen sich nun Verhaftungen und erste Fälle von systematischer Vertreibung. Glaubt man den fast in der Illegalität operierenden Oppositionsgruppen der Kosovo-Albaner, so sind allein in diesem Monat an die hundert Arbeiter wegen „staatsfeindlicher Agitation“, Wehrpflichtige wegen „Dienstverweigerung“ und Lehrer, die in Privatschulen albanisch unterrichten, verhaftet worden.
Sind die Klagen der Kosovo-Albaner nicht neu und prangern internationale Menschenrechtsorganisationen seit langem die systematische Unterdrückung der Albaner an, so scheint sich nun die Situation für die 400.000 Ungarn der Vojvodina dramatisch zuzuspitzen. Vor allem die Vorfälle in der kleinen ungarisch- kroatischen Gemeinde Hrtkovci geben zur Sorge Anlaß. In das 3.000 Einwohner zählende Dorf drangen kürzlich paramilitärische Kampfverbände unter dem Kommando von Vojislav Seselj ein und vertrieben kurzerhand die Einwohner. Der gesamte Gemeinderat wurde zudem unter dem Vorwurf festgenommen, „militante antiserbische Aktionen“ geplant zu haben — über das Schicksal der Verhafteten ist bisher nichts bekannt.
Dafür waren in der serbischen Presse die Gründe für die „notwendige Säuberungsaktion“ (Seselj) nachzulesen: Demnach hatten Ungarn und Kroaten in Hrtkovic eine heimliche Waffenfabrik eingerichtet und wollten durch „Destabilisierungsaktionen“ dem „faschistischen Kroatien“ zu Hilfe kommen. Nur in letzter Minute hätte dies noch vereitelt werden können. Für den Demokratischen Bund der Ungarn in der Vojvodina ist der Vorfall in Hrtkovic nur der Anfang einer breit angelegten Vertreibungsaktion, die Serbien dann einleiten werde, wenn es seine Kriegsziele in Bosnien erreicht habe. Bereits im letzten Jahr haben 30.000 Kroaten und 40.000 Ungarn ihre Heimatorte in der Vojvodina verlassen. Daß dies „unter Druck“ geschah, daran lassen die Vertriebenen im Gespräch keinen Zweifel.
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