piwik no script img

Der Botschaftsflüchtling sitzt in Moabiter Haft

■ Nach seiner (un-)freiwilligen Ankunft in Berlin ist der frühere Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker, umgehend in Untersuchungshaft genommen worden. Gestern mittag wurden...

Der Botschaftsflüchtling sitzt in Moabiter Haft Nach seiner (un-)freiwilligen Ankunft in Berlin ist der frühere Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker, umgehend in Untersuchungshaft genommen worden. Gestern mittag wurden dem 79jährigen zwei Haftbefehle der Berliner Justizbehörde verkündet. Der einst so mächtige Mann in der DDR wird nun wegen der Mauerschüsse und der Veruntreuung sozialistischen Vermögens zur Verantwortung gezogen.

Die erste Nacht nach seiner Rückkehr hat Erich Honecker in der Untersuchungshaftanstalt Berlin- Moabit verbracht. Nach Auskunft seines Anwalts Friedrich Wolff mußte der ehemalige Staatschef die Zelle mit einem „gewöhnlichen Kriminellen“ teilen. Gestern vormittag wurden ihm zwei Haftbefehle verkündet. Dem Mann, der am 25. August 80 Jahre alt wird, werden zum einen die Toten an der Mauer, zum anderen Vertrauensmißbrauch und Untreue vorgeworfen. Honecker wird, wie seine übrigen inhaftierten Genossen auch, nach altem DDR-Recht angeklagt.

Honeckers Anwalt erklärte nach den Haftverkündungsterminen, sein Mandant habe vor den Richtern keinerlei Erklärungen abgegeben. Erich Honecker habe einen „verbitterten Eindruck“ gemacht.

Bereits am Mittwoch abend hatte die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach erklärt, es gebe keine Anzeichen für eine Haftunfähigkeit Honeckers. Unmittelbar nach seiner Einlieferung in Moabit sei er von zwei Ärzten sorgfältig untersucht worden. Ob Honecker haft- und verhandlungsfähig ist, werde vom zuständigen Gericht entschieden.

Die Entscheidung über die Rückkehr des einstigen Staatsoberhauptes in die Fänge der gesamtdeutschen Justiz fiel offenbar am Rande des Umweltgipfels in Rio de Janeiro. Die Deutsche Presseagentur meldete gestern, daß Bundeskanzler Kohl sich am 12. Juni in Rio mit Chiles christdemokratischem Präsidenten Patricio Aylwin getroffen habe, um das „Thema Honecker“ zu einem Ende zu bringen. Kohl und Aylwin, der während der langjährigen Militärdiktatur von der CDU materiell unterstützt wurde, vereinbarten bei diesem gut einstündigen Gespräch, daß Honecker Ende Juli die Botschaft verlassen muß. Die Bundesrepublik war an den Verhandlungen zwischen Chile und Rußland über die Ausreise nicht unmittelbar beteiligt, wurde jedoch über den jeweiligen Stand der Gespräche umgehend informiert. Kohl hatte nach der Begegnung in Rio keinen telefonischen Kontakt mehr mit Aylwin.

Nach Meldungen von dpa wußte die Bundesregierung seit dem vergangenen Dienstag (28.Juli), daß Honecker am folgenden Tag um 18.00 Uhr die Botschaft verlassen wird. Zuvor hätten ihm die chilenischen Stellen mitgeteilt, daß seine Situation aussichtslos ist.

Honecker wurde vor seiner Abreise aus Moskau die Möglichkeit gegeben, einen Verteidigungs-Schriftsatz den russischen Behörden überbringen zu lassen. Darin soll Honecker darauf aufmerksam gemacht haben, daß er als ehemaliges Staatsoberhaupt eines einstmals souveränen Staates nicht ausgeliefert werden dürfe. In Bonn wurde am Donnerstag noch einmal deutlich unterstrichen, daß Honecker keinerlei Zusagen gemacht worden sind.

Unterschiedliche Meldungen gab es gestern darüber, ob Honecker die Botschaft freiwillig verlassen hat. Während sein Anwalt Wolff gestern erklärte, sein Mandant sei „gegen seinen Willen“ nach Berlin gekommen, sprach der chilenische Außenminister von einem „freiwilligen Schritt“ Honeckers. Die chilenischen Christdemokraten verlangten in einer Erklärung einen „fairen Prozeß“ gegen das einstige Staatsoberhaupt. Nach Angaben aus diplomatischen Kreisen in Bonn ist Honecker aber auch von chilenischer Seite stark unter Druck gesetzt worden. Am Montag abend habe es nochmals ein längeres Gespräch mit ihm gegeben. Dabei sei dem 79jährigen klargemacht worden, daß er notfalls auch gegen seinen Willen aus der Botschaft gebracht würde. Der Termin zum Verlassen der Botschaft sei ihm aber nicht genannt worden.

Honeckers Anwalt Wolff will erst nach der Rückkehr seiner Mit-Verteidiger Nicolas Becker und Wolfgang Ziegler aus dem Urlaub über einen Antrag auf Haftverschonung entscheiden. Seinem Mandanten hat er geraten, „zunächst mal keine Aussage zu machen“. Wolff bezweifelte, ob ein faires Verfahren in der Bundesrepublik möglich sei. Er beklagte eine „Vorverurteilung“ seines Mandanten durch die Medien.

Die Rente, die Honecker in der Bundesrepublik beziehen darf, wird karg ausfallen. Bis zu seiner Flucht nach Moskau im März 1991 hatte er noch neben seiner Rente nach DDR- Recht auch Anspruch auf eine Ehrenpension als „Kämpfer gegen den Faschismus“. Der ist inzwischen verfallen, Honecker wird künftig mit einem Monatssalär von 500 bis 700 Mark auskommen müssen.

Ob sich Honecker an seinem Geburtstag im August eine Torte kaufen darf oder nicht, bleibt ungewiß. „Im Gefängnis Berlin-Moabit werden Geburtstage nicht gefeiert!“ klärte ein Mitarbeiter der Berliner Justizverwaltung auf, „das ist ein Tag wie jeder andere.“

Auch ob Erich Mielke Honeckers Zellennachbar werden darf, steht nicht fest. Mielke (84) und Honecker dürften zu den ältesten Gefängisinsassen Deutschlands gehören. Die meisten Knackis sind zwischen 25 und 30 Jahre alt. „Ein 80jähriger ist genauso zu behandeln wie ein 40jähriger, wenn er gesund ist“, sagte der Alterspsychiater Siegfried Kanoski, der im Prozeß gegen Mielke ein Gutachten über den Angeklagten erstellt hat. Auch der Abteilungsleiter für Strafvollzug in der Justizbehörde versicherte: „Honecker ist ein Häftling wie andere auch — egal wie alt er ist.“ ccm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen