REIF FÜR DIE INSEL Von Mathias Bröckers

Daß man den alten Erich jetzt ein bißchen piesackt, dagegen können nur äußerst empfindliche Gemüter etwas einzuwenden haben. Über Jahrzehnte hat er in der DDR den Sonnenkönig gemimt und mißliebige Untertanen in Bautzen und anderswo einbuchten lassen, wenn er also jetzt in Moabit selbst eine Runde Knast schieben muß, ist das nicht mehr als ausgleichende Gerechtigkeit. Mit Rechtsstaatlichkeit allerdings hat es nichts zu tun: Nach dem Buchstaben des Gesetzes ist Honeckers Haft kaum weniger skandalös als die politischen Terror-Urteile in der ehemaligen DDR. Schon im Vorfeld der Auslieferung tanzten Staatsanwälte und Juristen auf Eiern, und der Bundesregierung könnten ganz bald schon die Haare darüber zu Berge stehen, was sie sich mit der Heimholung Honneckers da ins Nest gelegt hat. So wichtig es aus psychologischen Gründen sein mag, nicht nur Kleine, sondern auch Große zu „hängen“, der Schaden, den ein Mammut-Schauprozeß gegen die „Nr.1“ der DDR anrichten wird, scheint ungleich größer. Denn was immer man, vom hundertfachen Mord abwärts, dem ehemaligen Staatschef anhängen wird — stets wird es eine ganze Bande von Mitwissern, Unterstützern, Beihelfern und Sympathisanten geben, die als Zeuge und als Mitangeklagte aufzutreten haben. Die Namen dieser regierungskriminellen Vereinigung reichen von Brandt, Schmidt und Bahr bis zu Kohl und Strauß selig — sie alle haben Honies Treiben nicht nur geduldet, sondern durch Milliardensummen gefördert und aktiv unterstützt. Hach, wird das ein Prozeßchen werden, gegen die Register, die Erichs Anwälte ziehen können, nimmt sich jede Stalin-Orgel harmlos aus. Was ist, wenn es am Ende nur dazu reichen wird, ihm eine Veruntreuung von 8 Mark 20 aus der Briefmarkenkasse der FDJ im Jahr 1957 nachzuweisen? Und ihn, mit reichlicher Haftentschädigung, als freien Mann entlassen muß — was die Steuerkasse wg. nötigem Polizeischutz auf Lebenszeit weiter belastet? Schon hat der Berliner CDU-Politiker Heinrich Lummer, Sprachrohr des strammdeutschen Stammtischrülpsers, dafür plädiert, Honecker nach DDR-Recht und der dort vorgesehen Höchststrafe (Erschießen) zu verurteilen — was nicht überraschen kann. Daß der Ex-Innensenator für seine Stasi-Kontakte mit Sex belohnt wurde, ist nur eine der Pikanterien, die in einem Prozeß zur Sprache kommen könnten, wenn Honecker über prominente Beihelfer auspackt.

Was tun mit dem alten Erich, wenn man seinem Unrecht nur mit Rechtsbeugung beikommen kann? Wie gesagt, ihn jetzt einmal mit U-Haft und Paragraphen-Hurerei zu piesacken, kann nicht schaden. Sodann aber hilft, statt einer Prozeß- Groteske, nur der Rückgriff auf ein altes Rechtsmittel, das kurzfristig wieder eingeführt werden könnte: die Verbannung. Nicht in ein kubanisches oder koreanisches Badeparadies, sondern auf eine Insel im versifften Meer. Als Festung hätte ihm und seinen engsten Kumpanen dort ein Original-Großplattenbau zu dienen, das monatliche Verpflegungsboot versorgte die Verbannten ausschließlich mit Konserven aus alten VEB-Beständen... Ein angemessener Ruhestand für Arbeiter-und- Bauernführer, die von Reise- und Bewegungsfreiheit ohnehin nie viel hielten — und die adäquate Sündenbockrolle für ein Volk, das schließlich Weltmeister im Schweinefleischessen war. Erich ist nicht reif für einen Prozeß, er ist reif für die Insel.