: Brechreiz vor der Fertigsuppe
Erst die Commercial-Shows machen das Fernsehen wieder richtig schön ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Die Anzahl der Fernsehprogramme verhilft dem Medium zu seinem Wesen. Die Bilder der Programme überlappen sich beim Hin- und Herzappen — alles kann sich miteinander verbinden, denn wer fernsieht, sieht in erster Linie fern. Was man sieht, ist sekundär. Einzelne Sender, wie beispielsweise RTLplus, simulieren inzwischen das Zapping und die Überraschungen, die es dem Zuschauer bietet, indem sie ihrerseits scheinbar Unvereinbares überraschend verbinden:
So kann auf eine besonders ekelhafte, exkrementelle Kotz-Szene aus Spielbergs „Poltergeist“ ein Werbespot für „die Fünf-Minuten-Terrine“ folgen. Zur Zeit sind solch gelungene Verbindungen allerdings noch die Ausnahme, also wechselt man weiter und trifft plötzlich, nachts, nach zwei, wenn sich nur noch einige Programme im Dunkel des Mediums herumtreiben, auf sehr merkwürdige Sendungen. Beispielsweise auf die kleinen, liebevoll gestalteten Commercial-Shows, die bis in den Morgen hinein auf dem „Sportkanal“ zu Hause sind.
Die Shows heißen „Amazing Discoveries“ oder „News for the Ninetees“, und seltsame Dinge werden hier dem einsam-depressiven Nachtdurchwacher angeboten, um ihn freundlich von schreienden Selbstmordsehnsüchten zu befreien. Eine Welt ist schön, in der es den „Europainter“, ein geniales Malgerät mit einer viertel Million Borsten (!), „Perfect Press“, ein geniales Bügelgerät, oder „Super-Step“ gibt! „Super-Step“ ist der Hit der schüchternen Sendung; „Super-Step“ ist eine Art Pendant zum Fahrradtrainer, der dem sensiblen Zuschauer den Weg in die böse Welt erspart.
„Super-Step“ ist eine Gehmaschine, bei der man auf einem Fleck bleiben kann. 15 Jahre lang hat man an „Super-Step“ geforscht! Kleine Interviews mit Ex-Sportlern, einem klugen „Fitness-Adviser“ und anderen kompetenten Körperexperten beweisen die Genialität von „Super- Step“. „Super-Step“ — zeigt „ungewöhnliche Wege, sich fit zu halten“. Glückliche Menschen sagen „I love my Super-Step!“
„Super-Step“, ein Knaller, ein Hit in New York
„Super-Step“ kann man allein oder zu zwein; auch zu mehreren. Zum Beweis stehen 20 befreite amerikanische Bürger in einer Turnhalle zusammen und lächeln verrückt, blöde, reizend auf der Stelle tretend in skurriler Sportkleidung und geben auch Auskunft über den Grund ihrer Freude. „Was mich am meisten an ,Super-Step‘ überrascht hat“ war aber, daß es sich bei dem Gerät, das einen in der Fernsehnacht doch ziemlich far out und abgedreht anlächelt, in den Vereinigten Staaten tatsächlich um einen Renner, einen Knaller, einen Hit handelt.
Eine New Yorker Freundin versicherte mir — etwas erstaunt über meine Unwissenheit —, daß das fast jeder machen würde. (Man sollte drüber sprechen, wie über's Onanieren.) Die Commercials auf dem „Sportkanal“ haben mittlerweile Kultstatus. Zuweilen experimentell- avantgardistisch, doch auch volksnahe Kunst verbindet sich hier mit minimalistischem Eifer. Die auf's amerikanische Original gesprochenen deutschen Sätze verknüpfen in ihrer lustigen Redundanz, in ihrer trostlos schillernd leeren Depressivität amüsante Unterhaltung mit einer fundamentalen Zivilisationskritik, die ohne den enervierenden Lehrerstinkefinger auskommt.
Und außerdem wiederholt sich alles, stundenlang, ein Bild des Lebens, der ewig-freudigen Wiederkehr, bis daß man in glückliche Trancezustände gerät und weiterträumt: von Jack, dem 79jährigen, der dank einer genialen Kraftnahrung den jungen Moderatorenspunt an Vitalität leicht übertrifft, was er sogleich mit ein paar lockeren Klimmzügen unter Beweis stellt, von einem der „bestgehütetsten Geheimnisse der Forschung“ — „Flyin Lure“ dem neuartigen Angelhaken, der in authentischen Unterwasseraufnahmen präsentiert wird.
„Es sieht schon komisch aus. Da lachen die Leute jedesmal, wenn man den Lure rauszieht. Aber wenn sie nichts fangen, da sehen sie schon, wer zuletzt lacht“, meint der erfahrene Angler. Und von „colorcote 2000“, einer hilfreichen Mischung aus Lack und Politur, die selbst den Lack von Schrottautos wieder auf Hochglanz bringt — den so behandelten Autos kann selbst auf der Motorhaube brennendes Feuerzeugbenzin — („Joe, die Sendung entgleitet Ihnen“, rief da der erschreckte Moderator seinem Kumpel zu) nichts anhaben, oder eben von „Super-Step“. Fernsehen ist schön!
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