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Risikoreicher Alleingang mit tödlichem Ende

■ Die fehlgeschlagene Evakuierungsaktion zweier Abgeordneter des Landtags von Sachsen-Anhalt, bei der am Wochenende nahe Sarajevo zwei Kinder im Kugelhagel serbischer Heckenschützen umgekommen...

Risikoreicher Alleingang mit tödlichem Ende Die fehlgeschlagene Evakuierungsaktion zweier Abgeordneter des Landtags von Sachsen-Anhalt, bei der am Wochenende nahe Sarajevo zwei Kinder im Kugelhagel serbischer Heckenschützen umgekommen waren, schlägt hohe Wellen. Während die beiden Politiker behaupten, ein sicherer Abtransport der etwa 50 Waisenkinder nach Split sei von serbischer Seite garantiert worden, erklärte etwa die UNO vor Ort, von nichts gewußt zu haben. Kritiker sehen in diesem Alleingang rücksichtslose Profilierungssucht.

Auf heftige Kritik stößt in Magdeburg die Evakuierung von etwa 50 Kindern aus dem Waisenhaus von Sarajevo durch die beiden CDU-Abgeordneten des Landtages von Sachsen-Anhalt, Jürgen Angelbeck (44) und Karsten Knolle (53). Der SPD-Oppositionsführer Reinhard Höppner kritisierte die Aktion als „besonders verwerfliches Piratenstück“ der beiden Abgeordneten, die versucht hätten, sich „auf Kosten der Waisenkinder von Sarajevo politisch zu profilieren“. Höppner forderte gestern Knolle und Angelbeck auf, ihr Landtagsmandat niederzulegen. „Mit solchen politischen Hasardeuren kann man im Landtag keine vernünftige Politik machen“, sagte der SPD-Fraktionschef, der die ganze Aktion als Alleingang von „Politamateuren“ bezeichnete.

Weniger harsch ging der Sprecher des Magdeburger Innenministeriums, Matthias Schuppe, mit den beiden Abgeordneten um. „Die ganze Aktion hatte sicher einen guten Ansatz“, sagte Schuppe, „aber in der Durchführung hat es doch erhebliche Mängel gegeben“. Schuppe kritisierte insbesondere, daß die beiden Abgeordneten sich vor Ort nicht ausreichend mit anderen Stellen abgestimmt haben. Die UN-Flüchtlingshochkommissarin Sagato Odaka hatte schon im Juni die geplante Evakuierung als „unverantwortlich“ kritisiert. Und auch das Auswärtige Amt in Bonn habe einem Sprecher zufolge von der risikoreichen Aktion „ausdrücklich abgeraten“.

Ein Sprecher der Hilfsorganisation „Botschaft der Kinder“ warf den beiden Abgeordneten vor, seine Organisation mit einem Ultimatum unter Druck gesetzt zu haben, so daß diese die Kinder zu einer Tageszeit in den Bus gesetzt habe, in der in Sarajevo bekanntlich besonders viel geschossen werde. „Wir hatten von den UNO-Truppen bereits eine Zusage, daß die Blauhelme den Kinderkonvoi am Dienstag aus der Stadt begleiten würden“, sagte der Sprecher von Botschaft der Kinder. „Aber das Ultimatum zwang uns, vorher zu handeln.“ Karsten Knolle hatte am Samstag verkündet, daß er die ganze Evakuierungsaktion abbrechen würde, wenn die Kinder aus dem Waisenhaus nicht bis Montag um 12Uhr in Split eingetroffen seien. Von dort aus sollen sie mit einem Flugzeug nach Sachsen-Anhalt gebracht werden.

Knolle und Angelbeck gelten in Magdeburg als begnadete Selbstdarsteller, denen ein gewisses Abenteurertum nicht fremd ist. Knolle machte erst kürzlich mit einer von ihm selbst herausgegebenen Pressemitteilung von sich reden. Überschrift: „Der CDU-Landtagsabgeordnete Karsten Knolle liebt den Nervenkitzel: Loopings mit Flugzeug und Fallschirmsprünge.“ Und vor dem Einzug zu einer Reserveübung ließ sich der Oberstleutnant der Reserve auch schon mal in Ausgehuniform vor dem Landtagsgebäude ablichten. Schlagzeilen machte Knolle zuletzt im Dezember vergangenen Jahres, als er die CDU- Fraktion im Magdeburger Landtag verließ, um sich gemeinsam mit Angelbeck der vom ehemaligen CDU- Fraktionschef Joachim Auer (heute DSU) begründeten Freien Fraktion anzuschließen — einem politischen Zirkel, dem kein langes Leben beschieden war. Schon wenige Wochen später zerbrach die Freie Fraktion daran, daß Knolle und Angelbeck sie wieder verließen.

Angelbeck, der für die SPD in den Landtag einzog, verließ die sozialdemokratische Fraktion im Oktober 1991 nach schweren Auseinandersetzungen mit Fraktionschef Höppner. Einem daraufhin vom SPD-Landesvorstand betriebenen Ausschlußverfahren kam Angelbeck durch seinen freiwilligen Austritt aus der Partei zuvor. Nach dem Bruch mit der Freien Fraktion bat Angelbeck ebenso wie Knolle um Aufnahme bei der CDU. Seitdem ist der nunmehr parteilose Westimport „Gastabgeordneter“ bei den Christdemokraten.

Die beiden Protagonisten der „Rettungsaktion“, die zwei kleine Kinder das Leben kostete, sehen sich allerdings nicht ausschließlich mit Kritik konfrontiert. Ausgerechnet die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ in Göttingen würdigt die beiden Abgeordneten, „die sich seit Wochen bemüht haben, Kinder vor der Beschießung durch serbische Truppen zu retten“. Nicht die Helfer aus Magdeburg seien für den Tod der beiden Kleinkinder mitverantwortlich, sondern jene, die seit Wochen jede Hilfeleistung und Evakuierung unmöglich machen, sagte ihr Vorsitzender, Tilman Zülch. Er warf den UN-Truppen in Sarajevo vor, durch ihre Untätigkeit den Tod der Kinder im Waisenhaus von Sarajevo zumindest in Kauf genommen zu haben.

Im Sozialministerium von Magdeburg geht man allerdings auf vorsichtige Distanz zu den beiden Abgeordneten. „Wir haben mit den Aktivitäten von Knolle und Angelbeck in und um Sarajevo nichts zu tun“, sagte der Staatssekretär im Sozialministerium, Richard Zimmer. Für alle Unternehmungen in Sarajevo seien allein die beiden Abgeordneten verantwortlich. Das Sozialministerium habe lediglich logistische Hilfe bereitgestellt, die aber auch erst bei Eintreffen der Kinder in Split eingesetzt werden sollte. Dort wartet in der Tat seit mehreren Tagen ein Vertreter des Sozialministeriums auf die Ankunft der Kinder, um sie nach eingehender medizinischer Versorgung nach Deutschland ausfliegen zu lassen.

In Magdeburg wird bezweifelt, ob sich das Sozialministerium tatsächlich so ohne weiteres von der Mitverantwortung am Tod der beiden Kinder befreien kann. „Ohne die logistische Hilfe des Sozialministeriums hätten die beiden Abgeordneten die Aktion wahrscheinlich niemals zustande gebracht“, sagt ein Landtagsabgeordneter. Allerdings gibt es auch Stimmen aus dem Sozialministerium, die alle Kritik an der Aktion zurückweisen. „Wir mußten davon ausgehen, daß keines der Kinder überlebt, wenn sie in dem Waisenhaus bleiben“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Anton Günther Cromme. „Wir haben nur versucht, zu retten, was zu retten war.“

Die Kinder waren am Samstag abend auf Druck des Ultimatums von Knolle durch Mitarbeiter der Botschaft der Kinder in den Bus gesetzt worden. Knolle und Angelbeck erwarteten den Bus außerhalb Sarajevos. Sechs Kilometer vom Waisenhaus entfernt wurde der Bus von Straßensperren aufgehalten und von Heckenschützen beschossen. Zwei der 47 Kinder kamen dabei ums Leben.

Doch auch für weitere Kinder führte die Reise nicht nach Deutschland. Serbische Kräfte hielten den Bus auf dem Weg aus der Stadt auf und holten alle serbischen Kinder heraus. Gestern wurden in Split die verbliebenen 36 Kinder mit neun erwachsenen Betreuern aus dem Waisenhaus erwartet. Der Vertreter des Magdeburger Sozialministeriums, Werner Theisen, hatte zuvor ihre Aufnahme im Krankenhaus von Split organisiert, wo sie von einem Ärzteteam der Medizinischen Akademie Magdeburg versorgt wurden. Heute früh sollen die Kinder samt ihren Betreuern, den beiden Abgeordneten und den Vertretern des Sozialministeriums ins Flugzeug steigen und nach Deutschland fliegen. Am Vormittag werden sie auf einem ehemaligen Militärflughafen der GUS-Truppen in Zerbst erwartet. Eberhard Löblich, Magdeburg

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