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Noch ist die Abtreibungsreform nicht verloren

■ Nachdem das Bundesverfassungsgericht den neuen §218 vorläufig stoppte, reagierte jeder in Bonn nach seiner Fasson / SPD- und FDP- PolitikerInnen bedauerten den Karlsruher Spruch, die Union jubelte, doch letztlich ist alles noch offen

Bonn/Berlin (AFP/AP/taz) — Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das Inkrafttreten des neuen Abtreibungsrechts zu stoppen, ist bei GegnerInnen und BefürworterInnen der Fristenregelung mit Beratungspflicht auf ein unterschiedliches Echo gestoßen. Das Gericht hatte am Dienstag abend mit einer einstweiligen Anordnung das neue Abtreibungsrecht vorläufig außer Kraft gesetzt. Die neue Fristenregelung sah einen straflosen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten vor, falls Frauen sich vor der Abtreibung beraten ließen. Ohne das Eingreifen des Verfassungsgerichts wäre der neue §218 am Mittwoch in Kraft getreten.

Bei ihrer Urteilsfindung beschränkten sich die Karlsruher Richter auf eine Folgenabwägung und hielten es für weniger schwerwiegend, zunächst das noch getrennte Abtreibungsrecht in den alten und neuen Bundesländern weiter gelten zu lassen. Bis Ende des Jahres muß laut Einigungsvertrag eine einheitliche Regelung in der Frage des Abtreibungsrechts gefunden werden. Die Gründe für oder gegen eine mögliche Verfassungswidrigkeit der neuen Regelung ließ Karlsruhe bei der Urteilsfindung außer Betracht. Diese sollen erst im Hauptverfahren, das vermutlich im Herbst stattfinden wird, geklärt werden. Ausdrücklich hieß es in der Begründung, die einstweilige Anordnung lasse „keine Rückschlüsse auf den voraussichtlichen Ausgang“ des Hauptverfahrens zu. In ersten Reaktionen nahmen die BefürworterInnen der neuen Fristenregelung mit Beratungspflicht den Karlsruher Spruch eher gelassen auf. So rechnete der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Horst Eylmann (CDU) fest damit, daß die Karlsruher Richter das neue Abtreibungsgesetz letztlich passieren lassen. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Uta Würfel äußerte die gleiche Erwartung.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schloß sich ganz der Urteilsbegründung an und betonte ebenfalls, das Urteil ließe keine Rückschlüsse auf den Ausgang des Hauptverfahrens zu. Die Entscheidung sei nicht überraschend gekommen, heißt es in einer in Bonn verbreiteten Erklärung. Das Verfassungsgericht habe sich durch das Urteil „die notwendige Zeit verschafft, um die vielfältigen Aspekte zum Schutz des ungeborenen Lebens und von Frauen in außergewöhnlichen Konfliktlagen zu prüfen“.

Dagegen meinte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Herta Däubler-Gmelin, in der ARD, man hätte „den ganzen Spuk beenden sollen“. Wenn die Verfassungsrichter allerdings noch drei Monate brauchten, sei das auch in Ordnung, obwohl es von den Frauen nicht verstanden werde.

Auch SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier wies darauf hin, daß nun „die Hängepartie, die den Frauen zugemutet wird“, weiterginge. Sie betonte, in der Begründung der Richter sei ausdrücklich kein Argument der CDU/CSU gewürdigt worden. Der Erlaß der einstweiligen Anordnung sei daher „kein Etappensieg der Union“.

Enttäuscht reagierte hingegen die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Karin Junker. Sie betonte, es sei unerträglich, „daß mehrheitlich Männer über die ureigensten Belange von Frauen entscheiden und richten.“ An die Unionsparteien richtete Junker die Kritik, ihre eigentliche Motivation sei der gesetzliche Zwang zur fortgesetzten Disziplinierung der Frauen, ungeachtet der Tatsache, daß die Mehrheit der Bevölkerung für den reformierten Paragraphen sei.

Demgegenüber sehen sich die Gegner einer Fristenlösung mit Beratungspflicht durch das Karlsruher Urteil bestätigt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Fristenlösung seien gravierend, erklärte der Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble. Sie gestatte die Tötung eines ungeborenen Kindes innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft, ohne daß eine besondere Notlage vorliegen oder nachgewiesen werden müsse. Das Verfassungsgericht müsse nun die schwerwiegenden Bedenken gegen die Fristenlösung verbindlich klären.

Außer 248 CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten hatte auch die bayerische Staatsregierung die einstweilige Verfügung beantragt. Deren Innenminister Edmund Stoiber (CSU) rechnet nach dem Spruch der Richter mit einem endgültigen Stopp des Abtreibungsgesetzes im Herbst. Er sehe in der einstweiligen Verfügung „ein gewisses Signal“ für die endgültige Entscheidung. Sein Chef, der bayerische Ministerpräsident Max Streibl (ebenfalls CSU) erklärte in München, die Richter hätten mit ihrer Entscheidung ihre „vornehmste Pflicht“ erfüllt: den zu schützen, der sich nicht wehren könne.

Und auch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel begrüßte die Gerichtsentscheidung. Mit ihrer Anordnung hätten die Karlsruher Richter einmal mehr verdeutlicht, welchen Rang sie dem ungeborenen Leben einräumten und welcher fundamentale Wechsel mit einer Veränderung von der Indikations- zur Fristenregelung verbunden wäre.

Wie nicht anders zu erwarten, begrüßten auch führende Vertreter der katholischen Kirche die einstweilige Anordnung. flo

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