Bezirksamt vergiftet 300 Tauben

■ Die Zahl der Luftratten am Leopoldplatz soll so zugenommen haben, daß Seuchengefahr bestand/ Vereinzelte Aktionen in diesem Jahr/ Berliner Taubenbestand wird auf 250.000 geschätzt

Wedding. Seit dieser Woche gibt es in Berlin 300 Tauben weniger. Das Weddinger Bezirksamt hatte am Sonntag auf dem Leopoldplatz und gegenüber dem Arbeitsamt am Corbiere-Platz vergiftetes Getreide ausstreuen lassen. Das Getreide war kurz zuvor mit Blausäure begast worden. Gegen 5 Uhr morgens begann die Polizei, die Plätze abzusperren, und eine Schädlingsbekämpfungsfirma, unter Aufsicht des Landesamtes für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA) die Giftköder auszulegen. Bis etwa 6.30 Uhr habe die Firma etwa 300 tote Tauben eingesammelt, berichtete Norfried Opitz, stellvertretender Amtsarzt im Wedding, der taz.

Die toten Tauben wurden bei der Tierkörperbeseitigungsanstalt abgeliefert. Opitz schätzt, daß in den kommenden sechs bis zehn Wochen die Zahl der graublauen Vögel deutlich geringer sein werde als bisher. Die Dezimierung sei notwendig geworden, weil nach dem Bundesseuchengesetz von den Tauben eine Gesundheitsgefahr vor allem für Kinder und ältere Menschen ausgegangen sei. Die Kontrolle durch das Landesmedizinaluntersuchungsamt habe ergeben, daß die Viecher am Leopold- und Corbiere-Platz von krankheitsauslösenden Bakterien und Schimmel befallen waren. Die letzte Vergiftungsaktion von Tauben sei so lange her, daß er sich nicht an das Jahr erinnern könne, sagte der Amtsarzt weiter. In diesem Jahr habe es in Berlin insgesamt etwa fünf Blausäure-Aktionen gegen die im Volksmund Luftratten genannten Tauben gegeben, berichtete Karin Prekel vom LAfA. Immer wenn Gas eingesetzt werde, müsse das Landesamt benachrichtigt werden. Bevor das Amt einer Fütterung mit begastem Getreide zustimme, müsse nach dem Bundesseuchengesetz eine von den zu tötenden Tieren ausgehende Gesundheitsgefahr festgestellt worden sein. Das Landesamt für technische Sicherheit begutachte zuvor die Plätze — sie dürften nicht zu dicht bebaut sein — und achte darauf, daß nach der Aktion das nicht gefressene Futter eingesammelt werde. Eine Schädlingsbekämpfungsfirma dürfe nur mit Blausäure arbeiten, wenn ihr nach der Gefahrstoffverordnung der Umgang mit der Chemikalie erlaubt worden ist.

Die Gesundheitsverwaltung schätzt den Bestand der Tauben in Berlin auf 250.000 Vögel. Sie seien Überträger zahlreicher Krankheitserreger wie Taubenpockenviren, Salmonellen, Pilze, Würmer und Taubenzecken. Welche Gefahr von den Viechern ausgehe, zeige ein Fall aus dem Jahr 1984 in Großbritannien. 30.000 Tauben im Hafen von Liverpool hatten auf Hühner eine Virusseuche übertragen, an der letztendlich 800.000 Hühner eingegangen waren.

Die von Tauben verursachten Gefahren würden in der Öffentlichkeit maßlos übertrieben, sagte dagegen Anna Marie Sen. Sie hatte die taz über die Tauben-Dezimierung im Wedding informiert. Nach Auskunft ihrer Tierärztin und einer Bekannten vom Taubenschutzverein gehe von den Tauben so gut wie keine gesundheitliche Gefährdung aus. Dirk Wildt