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"Ich bin nicht der Richter"

■ Der Regisseur Eberhard Fechner starb im Alter von 65 Jahren

starb im Alter von 65 Jahren

Den „Chronisten deutschen Daseins“ nannte ihn die taz, der Spiegel zeichnete ihn als „Meister der Schicksalsforschung“ aus: Eberhard Fechner, einer der bedeutendsten Regisseure des deutschen Fernsehens, ist am Freitag im Alter von 65 Jahren in Hamburg an Herzversagen gestorben. Die Nachricht löste bei Kollegen und Kulturpolitikern große Bestürzung aus. Bekannt wurde Fechner einem großen Publikum besonders mit seinen TV- Filmen wie „Tadellöser & Wolff“ und „Ein Kapitel für sich“ nach den Romanen von Walter Kempowski. Glanzlichter setzte er mit seinen dokumentarischen Fernsehfilmen.

Der gelernte Schauspieler, der bei Giorgio Strehler das Regie- Handwerk lernte, drehte seinen ersten Film „Selbstbedienung“ Mitte der 60er Jahre für den NDR. Die Dokumentation „Nachrede auf

Klara Heydebreck“ rekonstruierte

er 1969 aus dem Nachlaß einer Berliner Rentnerin. Fechners unspektakuläre Art, ein durchschnittliches Leben nachzuzeichnen, war damals eine Sensation im deutschen Fernsehen. Er selbst prägte den Begriff des Erzählfilms. Neun davon hat der im schlesischen Liegnitz geborene Regisseur gedreht.

Als seine Lieblingsproduktion bezeichnete der Adolf-Grimme- Preisträger seinen Film über das Schicksal der „Comedian Harmonists“, als seine wichtigste aber die dreiteilige Dokumentation „Der Prozeß“. Während des Majdanek- Prozesses führte er 1975 bis 1981 Gespräche mit Opfern und Tätern. Mit großer Meisterschaft fügte er Archivaufnahmen, Zeugen- und Opferaussagen und Zitate aus Richter- und Anwaltsprotokollen zu-

sammen. Fechner widmete seine ganze Aufmerksamkeit den Porträtierten, fragte sie nüchtern und

nachrichtlich und ließ sie, ohne sich selbst ins Bild zu setzen, zu Wort kommen. Er sah sich nicht als Richter, sondern als „unabhängigen Berichterstatter“ dessen, was er sah: „Beurteilen müssen es die Zuschauer.“ Als „Der Prozeß“ fertiggestellt war, versteckte der NDR die rückhaltlose Darstellung deutscher Unfähigkeit, Vergangenheit zu begreifen, zunächst nachts im dritten Programm. Diese Dokumentation hat Fechner, dessen Vater im KZ umgebracht worden war, auch die Gesundheit gekostet: Beim Sichten von 220 Stunden Filmmaterial mußte er sich immer wieder mit selbstmitleidigen Aussagen von KZ-Bewachern konfrontieren.

NDR-Intendant Jobst Plog würdigte die Arbeit Eberhard Fechners: „Der NDR trauert um einen herausragenden Künstler, um einen Mann, der gezeigt hat, was dokumentarisches Fernsehen leisten kann. Mit seiner unverwechselbaren Handschrift hat er eindringliche Zeitdokumente geschaffen, die wir nicht vergessen werden.“ jk

NDR 3 sendet am Sonntag um 11 Uhr die Dokumentation „Chronist des einzigartig Normalen“ über das Werk Fechners

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