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Der Duft der Großen dieser Welt

Ein Besuch in der weltweit einzigen Duft-Sammlung, der „Osmothéque“ in Versaille  ■ Von Alexander Smoltczyk

So also rochest du, mein Kaiser: wie eine geraspelte Limone mit einer Spur Bergamotte, einem Hauch von destillierter Mandarinen-Blüte — Bonapartes Badewasser im St. Helenischen Exil. Sein drosselbärtiger Neffe, NapoléonIII. dagegen stäubte sich und damit das gesamte Second Empire mit dem deutlich orange-lastigen „Impériale“ ein, einem schweren, etwas melancholischen Eau de Cologne von Guerlain 1853, in dem bereits ein Hauch von Sedan zu wittern ist.

Der Duft der Großen dieser Welt. In der Regel verweht mit ihren Trägern, ihren Kreaturen. Nur wenn das Notizbuch eines Parfumeurs erhalten geblieben ist und die ursprünglichen Hersteller keine Einwände erheben (Parfums sind nicht patentierbar), kann sich die Nachwelt ans meist kostspielige Rekonstruieren machen. Das Rezept von Napoléons Körperwasser auf St. Helena ist den Aufzeichnungen des kaiserlichen Parfumeurs zu verdanken, die 1989 vom Bürgermeister Versailles bei einer Auktion erworben wurden. Ein Kauf, der Anlaß wurde für die Eröffnung eines Duft-Archivs, der „Osmothéque“ in Versailles. Einer Einrichtung, die sich, so ihr Leiter, „der Suche nach dem verlorenen Parfum, das seiner Zeit ihren Duft gegeben hat“, gewidmet hat. Alles, was an Wohlgerüchen zu retten ist, wird hier aufbewahrt, bei zwölf Grad Celsius und in völliger Dunkelheit. Jeden Mittwoch ist Beriechung.

Fläschchen verschiedener Form und Größe stehen auf dem Pult nebst einem Büffelhorn und Blechdosen mit Moschus-Beuteln, grauem Walfisch-Amber, Eichen-Flechten, Sandelholz und weißen Iris-Knollen. Soeben wurde ein verdächtig braunes, schrumplig-behaartes Furunkel durch die Bänke gereicht: die Drüse eines Bibers, als „Castoreum“ unverzichtbarer Grundstoff der frühen Parfumeure.

Ein hasengesichtiger Herr führt ein ins Reich der Sinne. Er tunkt einen Riechstab in ein Flacon, schnüffelt kurz und taucht selig wieder auf: „Ein Hauch von Balsam...“ — Tatsächlich: „Un Air Embaumé“, von Rigaud im Jahr 1912 kreiert. Dieses Parfum muß über den Salons der Guermantes gelegen haben, über den Opernlogen, wenn die Berma „Phädra“ sprach. Swann muß ihn vom Halse Odettes gesogen haben, diesen unter einer Decke von Amber verborgenen, leicht holzigen Blütenduft.

Aber wenn von einer früheren Vergangenheit nichts existiert nach dem Ableben der Personen, dem Untergang der Dinge, so werden allein, zerbrechlicher, aber lebendiger, immaterieller und doch haltbar, beständig und treu Geruch und Geschmack noch lange wie irrende Seelen ihr Leben weiterführen, sich erinnern, warten, hoffen, auf den Trümmern alles übrigen und in einem beinahe unwirklich winzigen Tröpfchen das unermeßliche Gebäude der Erinnerung unfehlbar in sich tragen.

(„In Swanns Welt“).

Die Besucher sitzen an Schulpulten, wo ansonsten Duft-Kompositeure ausgebildet werden, und recken ihre Nüstern den Riechproben entgegen. 600 Tröpfchen stehen zur Auswahl. „Crêpe de Chine“ etwa oder die verspielte „Arlequinade“ oder das rosenwassersatte „Joy“ von Patou, teuerstes Parfum der Duftgeschichte. Oder „Ambre antique“, nichts weniger als ein osmotischer Orgasmus, der 1905 von dem Großmeister der Parfumeure, Francois Coty geschaffen wurde. Man möchte sich das Stäbchen am liebsten ins Kleinhirn stecken.

Den Philosophen (mit Ausnahme Nietzsches) war der Geruchssinn seit jeher verdächtig. Der einzige Sinn, der sich sein Vokabular bei den Kollegen ausleihen muß: „Das duftet wie...“ Verflucht zur Komparation, unsichtbar, unfaßbar, flüchtig. Ein primitives Relikt aus der Zeit der Troglodyten, das sich Sprache und intellektueller Kontrolle entzieht. Kant erachtete den Geruchssinn schlicht als „undankbar“ und keiner weiteren Ausbildung wert. Für Freud war Riechen der animalische, vor-zivilisatorische Sinn schlechthin, eine offene Tür zum inneren Tier. All dies mag sein. Aber kannten Kant und Freud „Rose Brumaire“? Haben sie ihre welken Nasen jemals über ein Fläschchen „Shéhérazade“ oder „Insolent“ gehalten?

In einem Parfum sind zwischen 20 und 200 Substanzen vereinigt und in meist 96prozentigem Alkohol gelöst. Inzwischen würden bei keinem der neuen Markenparfums tierische Odorante mehr verwendet, es ist einfach zu teuer. Aber zudem sei es, so ist in der Osmothek zu erfahren, beispielsweise unmöglich, Veilchenduft aus einem Veilchen herzustellen. Oder Nelkenparfüm aus einer Nelke. Da muß die organische Chemie einspringen. Seit 1833 sind Duftträger entwickelt worden, von denen die Natur vielleicht eine Ahnung, aber keine klare Vorstellung hatte. Hydroxycitronellal zum Beispiel. Ohne dieses Molekül hätte es 1912 nicht eines der schönsten Parfums, „Quelques Fleurs“, gegeben. Und ohne das pfirsichgleiche Aldehyd Undecalactone kein „Mitsouko“, Guerlains Dauerrenner seit 1921. — Wie man denn seine Nase trainieren könne, will eine Dame in der ersten Reihe wissen. Ganz offensichtlich ein Fauxpas. Konsterniert erklärt der Referent: „Ein Parfum ist keine Angelegenheit der Nase, Madame, sondern des Intellekts. Es hat mit Phantasie zu tun, mit Imagination, Phantasmen, Pläsier...“ Einen objektiven Duft gibt es nicht, keine Apparatur kann feststellen, ob ein Wässerchen stinkt oder duftet. Die Osmologen gehen davon aus, daß bei jedem Menschen unterschiedliche Felder von Nasen-Neuronen auf bestimmte Moleküle reagieren, es aber keinen Duft als solchen gibt: „Auf der Ebene der Rezeptoren gibt es keine Erklärung dafür, weshalb ein Geruch angenehm oder unangenehm empfunden wird. Die Rezeptoren sind vollkommen neutral, und es ist das integrierende Zentrum des Gehirns, das (...) die assoziierten hedonischen Eindrücke liefert“, so der Neurophysiologe Patrick McLeod in der Sondernummer „Odeurs“ der Revue Autrement. Die entscheidende Funktion des Gehirns beim Riechen erklärt den Proustschen Kurzschluß zwischen Duft und Erinnerung.

Um sich in der Welt der Flüchtigkeit zu orientieren, hat sich die Branche auf einen Code geeinigt: „Wir Parfumeure“, sagt Herr Hase und geht zur Tafel, „unterscheiden zunächst fünf Duftfamilien: a) die Hesperiden, alles was aus Citrusfrüchten oder Bergamotte destilliert werden kann. Kölnisch Wasser, „Drakkar“ oder „Eau Sauvage“ von Dior zum Beispiel. Dann, b), die Florale, die sich an einzelnen Blütendüften orientiert, Lavendel, Rose, Jasmin etc.“ Ein Fläschchen wird herumgegeben, in dem ein Blumen-Großmarkt sitzt. Aber die Florale sind ebensowenig Blumen, wie die Sonnenblumen van Goghs etwas mit Natur zu tun haben. Es sind Nachschöpfungen, realisierte Ideen, die von Riech-Erinnerungen leben. Kumarin riecht nicht nur wie eine normannische Wiese im August — es ist die Essenz aller wo auch immer dösenden Sommerwiesen, die Idee der Wiese schlechthin. Aber weiter: „Mesdames, Messieurs: Die dritte Gruppe bilden die Farnartigen, was aber nichts mit dem geruchsneutralen Gewächs gleichen Namens zu tun hat, sondern Wald und Wiese assoziieren soll: Eichen- Flechte, Kumarin und so weiter.“ Die vierte Gruppe, „Zypern“, umfasse sämtliche Düfte, die so ähnlich seien wie Francois Cotys Parfum „Chypre“, ein tierisches Bouquet aus Labdanum-Zyste, Patchouly, Eichen-Flechte und Bergamotte. Und schließlich die Amberartigen, die so wohlriechen, wie man sich den Orient vorstellt, vanillig-süß, schwer und betäubend.

Auf seiner weichenstellenden Sitzung von 1984 hat der Technische Ausschuß der Französischen Parfumeurs-Vereinigung (SFP) den ursprünglich fünf Duft-Familien nun allerdings zwei neue hinzugefügt: die „Holzartigen“ und „Lederähnlichen“. Damit, so das Komitee, würde der zunehmenden Maskulinisierung des Parfum-Marktes Rechnung getragen. Yves Saint-Laurents Starkmannswasser „Egoiste“ ist hölzern. Und zu den Lederähnlichen gehört „Scandal“ von Lanvin, das 1932 von André Fraysse gemischt wurde, „in Erinnerung an die Lederstiefel der russischen Gardisten in Sankt Petersburg“.

Zum Finale werden die Klassiker gereicht: „L'Air du Temps“, „Diorissimo“, „Coco“ von Chanel oder das Jasmin-Amber-Opus „Opium“, ein Parfum, das 1977 in Paris so verbreitet war, daß sein Duft noch den Geldscheinen anhaftete. Den größeren Scheinen natürlich. Es ist eine grausame Übung mit diesen unwirklich winzigen Tröpfchen. Man wird süchtig, will nur noch riechen, immer tiefer, immer nur „Jasmin de Corse“ riechen, nur nicht ausatmen, nein, nicht aufhören — sterben für korsischen Jasmin!... Aber der Riechstab geht weiter, die Narinen sind auf Turkey.

Osmothéque, 36, rue du Parc de Clagny, 78.000 Versailles. Tel.: 39.55.46.99. Führung nach Anmeldung jeden Mittwoch nachmittag (10 FF Eintritt).

„Odeurs — l'essence d'un sens“. Herausgegeben von Jacqueline Blanc-Mouchet, Revue „Autrement“ Nr.92.

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