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Späte Siege über das Image

■ Moviemento und Eiszeitkino zeigen eine Marilyn-Monroe-Retrospektive

Der Blätterwald rauschte vernehmlich, als sich Marilyn Monroes Abgang ins Nirvana vergangene Woche jährte. Ihr letzter Auftritt in der Einsamkeit ihres Schlafzimmers, eine Überdosis Nebutal im Magen und den Telefonhörer in der Hand, ist ein Mythos des 20. Jahrhunderts geworden — das Ende eines Kinomelodrams im Lebensformat.

Neue Todestheorien wurden zum dreißigsten Jahrestag nicht offeriert. Nachdem auch die letzte Haushälterin, der letzte Fotograf ihre Geheimnisse vom traurigen Dasein der strahlenden Leinwandlegende gewinnbringend ausgeplaudert haben, darf sie nun endlich in den geheiligten Spalten des Feuilletons ruhen, das sich zu Lebzeiten mit Grausen von ihr wandte. Posthum hat sich das »erstaunlich wohlproportionierte Blondchen« (ein Kritker in den Anfängen ihrer Karriere) zur ernst zu nehmenden Schauspielerin gemausert. Ein später Sieg über ihr Image als Kurvenkönigin, gegen das sie ebenso vehement wie erfolglos ankämpfte. Die Gruschenka in Dostojewskis »Brüder Karamasow« wollte sie spielen. Der Reporter, dem sie das erzählte, hatte nichts Besseres zu tun, als zu fragen, wie man diesen Namen wohl buchstabiert.

Das Fernsehen zelebrierte das Todesjubiläum auf allen Kanälen kostensparend mit den altbekannten Streifen. Technicolor und Cinemascope sehen in der Glotze immer noch aus wie Geschenkpapier aus dem Müllcontainer.

Deshalb gibt es bei der Retro, die ab heute im Moviemento und Eiszeit läuft, zuförderst knallig buntes Fiftys-Kino zu genießen — und einiges zu entdecken. Da wäre als erstes Marilyns Stimme (alle Filme laufen im Original). Von dem piepsigen Gehauche der deutschen Synchronisation, das jede ihrer Rollen zur Karikatur macht, ist sie Lichtjahre entfernt. In »Busstop« bezeichnet sie sich mit breitem Hillybilly-Akzent als chäntoose. Ihre Aussprache sagt mehr über Cherie, die Saloon-Chanteuse, als tausend Worte. Dem namenlosen Mädchen in »The seven year itch« gibt sie stimmlich jene Prise Ironie, die ihre Figur als das ausstellt, was sie ist: eine Schwarzweißkopie schwüler Männerphantasien. Das Pinup-Girl macht sich über seine eigene Funktion lustig.

Außerdem gibt es ihre frühen Filme erstmals fast vollständig. Große Kinokunst ist die Ausnahme. Meist wurde die fotogene Blondine in routiniert herunter gekurbelte B-Komödien gesteckt, bestimmt zum sofortigen Verbrauch und voll miefiger Moral der McCarthy-Ära.

Schnell hatte die 20th Century Fox, Marilyns Studio, den vermeintlich richtigen Typ für sie gefunden. Mal als Revuegirl (»Ladies of the chorus«), mal als Sekretärin (»Monkey business«) oder lokale Schönheitskönigin (»We're not married«), das naive Dummchen mit dem scharfen, aber harmlosen Sexappeal schneiderte man ihr von Anfang an auf den Leib. Eine Ausnahme ist »Don't bother to knock«, wo sie, unterstützt von Richard Widmark, einem jämmerlichen Drehbuch und einer lustlosen Regie (Roy Baker) einen psychotischen Babysitter spielt. Die Kritiken hielten ihr Studio von weiteren Experimenten ab.

Eines zeigt die Retro ganz deutlich: Nur ihr Typ ist ein Produkt des Studio-Systems — eines der letzten, bevor es Anfang der Sechziger entgültig zusammenbrach — nicht ihr Starstatus. Den forderte das Publikum ein. Erst mit »Niagara«, ihrem achtzehnten Film, hörte die Fox auf, sie konzeptionslos in allen möglichen Vehikeln zu besetzen. Die Zuschauer bekamen endlich, was sie sehen wollten. Die ideale Verkörperung puritanischer Lüste war geboren. Sex pur — aber in der Vertikalen. Die göttliche Komödiantin zu entdecken blieb einer anderen Dekade vorbehalten. Gerd Hartmann

23 Filme mit und 2 Filme über Marilyn Monroe bis zum 2. 9. im Moviemento und im Eiszeit. Näheres siehe Programmteil.

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