SOMNAMBOULEVARD — VOLL DES MONDES Von Micky Remann

Heute, ja heute, kommt wieder so eine Nacht der wilden Träume, an deren anderem Ende, also morgen früh, Du mit verquollenenen Augen fragen wirst: „Sag mal, war Vollmond?“ Zur Beruhigung bzw. Aufmunterung kann ich von hier aus dem real existierenden Traumzustand versichern: Jawohl, es ist Vollmond. Von daher darfst Du getrost träumen wie ein trunkenes Känguruh im Buntwaschgang, aber ich würde trotzdem raten, die Sicherheitsgurte anzulegen, weil das die Chancen erhöht, daß Du dort, wo Du heute nacht einschläfst, auch wieder aufwachst (sofern Dir daran gelegen ist). Hazardeurhafte Schlafwandler träumen nämlich heute bewußt nach dem Heuschreck-Prinzip: Die springen los, hui! Ohne zu wissen, in welcher Realität sie landen. Bei Vollmond keine Seltenheit, und damit sind wir wieder beim Thema. Denn es ist doch bemerkenswert, daß unsere vom Wachzustand hypnotisierte Kultur sich immer bei Vollmond aufs neue beweist, welchen enormen Einfluß ein Himmelskörper aufs Seelenleben besitzt. Und ist es nicht ein Hammer, daß Träumende über die Mondphasen besser informiert sind als Wachende? Im Tagesbewußtsein wird das Mondgesicht wegen bedeckten Himmels, sichtblockierender Hochhäuser oder schlichter Ignoranz kaum noch registriert. Nachts aber, wenn die Rückseite unserer Sinnesorgane aktiv wird, wenn feinstoffliche Astralkörper „Halli, hallo, wir fahren, wir fahren in die Welt!“ singen, und wenn naßgeschwitzte Laken sich unter unruhig hin- und herwälzenden Schlafleibern krumpeln, dann, ja dann tauchen im silbrigen Licht des Traumbewußtseins Wahrnehmungen auf, die Dich klar sehen und wissen lassen: „Der Mond ist mit sich selber voll!“ Und ist es nicht beruhigend, daß diese subtilen Regungen trotz Elektrosmog, Radarbeschuß und Radiowellensalat von außen noch den Weg in unsere hornhäutige Hirnrinde finden, mit Mühe zwar, aber immerhin, worauf wir Somnambulisten besonders stolz sind?

„Der Mond“, sagt unsere Mondgöttin gerade in einer Live-Übertragung vom Mond, „der Mond ist nicht nur Meister über Ebbe und Flut, nein, er ist der Guide Michelin für alle Schlafwandlungen, er lenkt den Tidenhub des Gemüts, der Träume und der virtuellen Sexualität. Denn der Körper, der auf den Mond geeicht ist, gleicht einer nach oben offenen Antenne, dafür geschaffen, die Vielfalt der Schwingungen wie ein Gourmet zu genießen. Seine Sprache ist eine Mischung aus Musik, Mathematik und flukturierenden Frequenzen, deren Bedeutung mit den Nuancen des Gefühls entziffert wird. Und doch sind Euch die intensivsten Schwingungen verborgen, denn Ihr lebt ins selbstverschuldeter vibrativer Einsamkeit, ständig darauf wartend, daß der Mond oder die Geliebte Euch an die Hand nimmt und Euch lehrt, die Sphärenklänge zu spüren wie einen zart gezupften Harfenakkord. Aber dann verschlaft Ihr's doch. Bä! Im Grunde seid Ihr lunare Anbalphabeten.“

Sagt die Mondgöttin und zappt sich raus aus diesem Traum.