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Peter Handke: Für Jugoslawien

„Konrad hat das Beste gesagt“, schreibt Peter Handke an Willi Winkler, der für uns die „Europa im Krieg“-Serie koordiniert. „Ich hätte noch ein paar Sätze hinzufügen können über das Europa, wie es seinerzeit am wirklichsten in Jugoslawien anzutreffen war und wie es jetzt nicht mehr dieses wilde kräftige Europa sein kann, über die Jungen in Jugoslawien nach Titos Tod, die von ihrem Land begeistert waren, über Deutschland, dem ich endlich auch einen Bürgerkrieg wünsche (?), über die kriegstreiberische ,FAZ‘, den kriegsgewinnlerischen ,Spiegel‘. Aber. (...)“

Ein mögliches kleines Epos: das von den unterschiedlichen Kopfbedeckungen der vorbeigehenden Menschheit in den großen Städten, wie zum Beispiel in Skopje in Mazedonien/Jugoslawien am 10.Dezember 1987. Es gab sogar, mitten in der Metropole, jene „Passe-Montagne“ oder Gebirgsüberquer-Mützen, über die Nase unten und die Stirn oben gehend und nur die Augen freilassend, und dazwischen die Radkarrenfahrer mit schwarzen kleinen Moslemkappen, die fest auf den Schädeln saßen, während daneben am Straßenrand ein alter Mann Abschied nahm von seiner Tochter oder Enkelin aus Titograd/ Montenegro oder Vipava/Slowenien, vielfache Spitzgiebel in seiner Haube, ein islamisches Fenster- und Kapitellornament (die Tochter oder Enkelin weinte). Es schneite im südlichsten Jugoslawien und taute zugleich. Und dann passierte einer mit weißem gestickten, von orientalischen Mustern durchschossenen Käppi unter dem vertropfenden Schnee, gefolgt von einem blonden Mädchen mit dicker heller Schimütze (Quaste obenauf), und gleich darauf einem Bebrillten mit Baskenmütze, dunkelblauer Stengel obenauf, gefolgt von dem Beret eines Großschrittsoldaten und den paarweisen Polizisten-Schirmmützen und deren gemuldeter Oberfläche. Einer ging dann vorbei mit Fellkappe, daran aufgebogene Ohrenklappen, inmitten der Scharen der Schwarzkopftuchfrauen. Danach einer mit scheckigem Fez, über die Ohren geschlungen, im Elsternschwarzweiß, Halbbruder Parzivals, der gescheckte Feirefiz. Sein Begleiter trug eine Leder- und Pelzkappe, und nach ihnen kam ein Kind mit schwarzweißem Ohrschutzband. Dem folgte einer mit Salz-und-Pfeffer-Mütze als „Schieber“, sehr flott unterwegs auf der mazedonischen Bazarstraße im Schneematsch. Die Soldatentruppe dann mit dem Tito- Stern vorn am Mützenbug. Darauf einer mit braunlodenem Tirolerhut, vorne herabhängende Krempe, die hintere Krempe hoch aufgebogen, silbriges Abzeichen an der Seite. Kleines Mädchen vorbeihüpfend mit heller Wildlederkapuze, gefütterter. Einer mit weißgrauem Schäferhut umschlungen von rotem Band. Eine dicke Frau mit leinenweißem Köchin-Kopftuch, das hinten ausgefranst war. Ein Junger mit vielschichtiger Ledermütze, von Schicht zu Schicht eine andere Farbe. Einer schob einen Karren und hatte eine Plastikkappe über den Ohren, das Kinn umwickelt mit einem Palästinensertuch. Einer ging dann mit Rosenmusterkappe, und allmählich erschienen auch die barhäuptigen Passanten mit Kopfbedeckungen ausgestattet, die Haare selber als Bedeckungen. Kind, getragen, mit Zipfelmütze, gekreuzt von Frau mit schiefem, breit ausladendem Filmhut: der Vielfältigkeit war nicht mehr nachzukommen. Eine Brillenschönheit ging vorbei mit lila Borsalinohut und schlenderte um die Ecke, gefolgt von einer sehr kleinen Frau mit selbstgestrickter Zopfmütze, welche hoch aufragte, gefolgt von einem Säugling mit Sombrero auf der noch offenen Schädelfontanelle, getragen von einem Mädchen mit überkopfgroßer Baskenmütze made in Hongkong. Ein Junge mit Schal um Hals und Ohren. Ein Bursche mit Schifahrer-Ohrenschützern, Aufschrift TRICOT. Undsoweiter.

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