: Das Elend der deutschen Sportpresse
„fuwo“ bundesweit — Schreck laß nach! Ein weiteres Beispiel für das niedere Niveau der hiesigen Sportberichterstattung/ Redaktionell bearbeitete Ergebnisdienste statt kompetenter Analyse ■ Von Matthias Kittmann
Am vergangenen Montag hat der Berliner Sportverlag alias Springer die bisherige Ostpostille Fußballwoche (fuwo) auch auf den westdeutschen Markt geschoben. Allein in Frankfurt a.M. hat der Pressevertrieb etwa 10.000 Exemplare ausgeliefert. Im Editorial heißt es: „fuwo ist eine moderne Fachzeitung. Ein Zeitungstyp, den Sie bisher nicht kaufen konnten.“ Hoppla, denkt man da unwillkürlich — es gibt etwas, was es noch nicht gab? Andererseits wäre eine moderne Zeitung in unserem Lande bitter nötig. Ein im europäischen Vergleich sportjournalistisches Notstandsgebiet.
Was der Leser dann tatsächlich in den Fingern hält, verschlägt ihm allerdings die Sprache. Die fuwo-Macher in der Ostberliner Glinkastraße, nur einen Augenthaler-Freistoß von der taz entfernt, scheinen offensichtlich einen ganz eigenen Modernitätsbegriff entwickelt zu haben. In jener Gegend, wo ein paar Blocks weiter Berlins bester „Caipirinha“ offeriert wird, hat Springer einen ganz üblen Aufguß zusammengebraut. Der „neue Zeitungstyp“ liegt in der Hand wie ein trockener Putzlappen. Das Titel-Layout erinnert an die Anzeigenblättchen, die immer den Briefkasten verstopfen. Nur der Dumpingpreis von 1,20DM sticht ins Auge.
Die nächste Überraschung folgt auf Seite zwei. In alter Bild-Tradition haben die fuwo-Leute auf ein Inhaltsverzeichnis verzichtet. Modernismusexperten wissen das zu schätzen. Ohne solch nützlichen Leitfaden gerät das Durchblättern zur Tortur. Ein wirres Gemisch aus gestrichelten Mannschaftsaufstellungen, Kürzestkolumnen und vermischten Meldungen, garniert mit nutzlosen statistischen Fieberkurven, führt beim Leser zu verschärfter Ermüdung. Kurz und schlecht: ein völlig überflüssiges Blatt ohne interessante Stories oder gar informative Hintergrundberichte. Gerade deshalb steht zu befürchten, daß dieses Heftchen seine Leser finden wird, wie das Beispiel Sport-Bild hinreichend beweist.
Der Tellerrand von Bertis Buben als Horizont
Es ist wirklich zum Heulen mit der aktuellen deutschen Sportpresse. Als ob es nicht endlich Zeit wäre für ein kompetentes, aktuelles Sportblatt, das auch einmal wagt, über den Tellerrand von Bertis Buben hinauszuschauen. Was haben wir statt dessen? Den betulichen kicker zum Beispiel, der zwar noch nie die Speerspitze des Fortschritts darstellte, aber mittlerweile von den Zeiten, als etwa ein Horst Vetten dort Kolumnen geschrieben hat, meilenweit entfernt ist. Wie soll das auch anders laufen, wenn der Chefredakteur Rainer Holzschuh ehemals Pressesprecher des DFB war? Kritischer Journalismus findet nur statt in der Frage, ob Spieler A oder B hätte ausgewechselt werden sollen. Ewig wiedergekäute Geschichten und 08/15-Interviews machen eine Sportzeitung zu einem redaktionell bearbeiteten Ergebnis- und Statistikdienst.
Nicht anders sieht es beim sportkurier aus. Ihn könnte man für das Mitteilungsblatt von dpa und SID halten — so groß ist der Anteil der abgedruckten Agenturmeldungen. Einziger Kaufgrund ist sein überregionaler Eishockeyteil. Und das auch nur, weil es keine Alternative gibt. Und das war's denn auch schon an aktuellen Sportblättern.
Schaut man über die bundesdeutsche Trümmerlandschaft ins Ausland, erschlägt einen förmlich der sportliche Blätterwald. Weit voran natürlich Italien, wo ein halbes Dutzend täglich erscheinender Sportzeitungen um die Leser ringen. Aber auch in der Türkei, in Griechenland, in Spanien und selbst in Ex-Jugoslawien erscheint mindestens ein tägliches Sportblatt.
Zweifellos bedeutet Quantität nicht automatisch Qualität. Daß sich jedoch ein Sportblatt nicht um die Farbe der Socken von Maradona kümmern muß, um die Seiten zu füllen, beweist täglich die französische Sportzeitung L'Equipe. Spielerisch leicht gelingt ihr der Spagat zwischen Boulevardaufmachung und kompetentem Fachblatt. Die L'Equipe hat das olympische Motto neu definiert: schneller, besser, ausführlicher. Die Schreiber sind keine strafversetzten Lokalredakteure, sondern Experten mit erstaunlicher stilistischer Eleganz und erzählerischer Kompetenz. Die Lektüre wird damit auch zum literarischen Genuß.
In der Bundesrepublik ist die Sportberichterstattung von einem grandiosen Mißverständnis geprägt. Joel Achenbach hat Anfang des Jahres im International Herald Tribune die Situation des Sportreporters angelsächsisch auf den Punkt gebracht: „Sportreporter sind Frontreporter. In keinem anderen Bereich ist ein Journalist so großen Meinungsverschiedenheiten und Konfrontationen ausgesetzt: Seine Leser wissen immer alles besser, und die Objekte seiner Beschreibung hassen nichts mehr als die Wahrheit.“
Klar, daß diese Situation zwei Varianten der Berichterstattung zuläßt. Und es ist kein Geheimnis, welche davon bei uns instinktsicher gewählt wird — von seltenen Ausnahmen abgesehen: Es ist die „Wir sitzen doch alle im gleichen Boot“-Variante. Das Logbuch schreibt immer noch der Kapitän. „Heckenschützen“ (FC Bayern) und „geistige Nichtschwimmer“ (Beckenbauer) sind da nicht geduldet. Gefragt sind Schwalbenspäher und Abseitsstatistiker, die sich in die Hofberichterstattungspflicht genommen fühlen. Oskar Warks Ausspruch vom 17.9. 1986 gilt mittlerweile auch für einen Großteil der Printmedien: „Wenn ein Reporter und ein Trainer zu dem gleichen Ergebnis kommen, ist das immer ein beglückendes Ereignis.“ Dabei wird niemand behaupten wollen, daß hautnaher und zugleich distanzierter Sportjournalismus in den Printmedien einfach wäre.
Richard Kreß flankt auf Ekkehard Feigenspan
In den alten TV-losen Tagen ging es in erster Linie darum zu beschreiben, was passierte: Egon Loys langer Abschlag wird vom Halbrechten Istvan Sztani aufgenommen, der nach einer Körpertäuschung Rechtsaußen Richard Kreß einsetzt. Der läßt nahe der Eckfahne einen Verteidiger aussteigen und flankt das Leder auf Mittelstürmer Ekkehard Feigenspan, der den Ball von der Strafraumgrenze unhaltbar im Offenbacher Gehäuse versenkt. Heutzutage sind beim Leser andere Berichte angesagt: Uli Stein, der 28jährige Kapitän der Frankfurter Eintracht, der trotz der Querelen um seine Möller-Äußerung die unumstrittene Nummer eins im Tor ist, wirft den Ball auf den gelernten Schwimmeistergehilfen im Eintrachttrikot, Ralf Falkenmayer, dessen Frau in vier Wochen ein Kind erwartet. Der spielt den Ball zu Uwe Bein auf Höhe der VIP-Lounge, wo die Präsidentengattin Barbara Ohms mit ihrem um den Kopf geschlungenen weißen Kaschmirtuch der Ex- Regierungschefin von Pakistan Konkurrenz macht, etc.... Schön und gut. Doch wo das Geschäft komplizierter wird, wird es auch interessanter. Gerade hinter dem aktuellen Geschehen. „Alle Spiele, alle Tore“, — das kann getrost dem Fernsehen überlassen werden. Gesucht ist die Wirklichkeit hinter dem Vorhandenen, hinter der Verlautbarungsöffentlichkeit. Was war eigentlich mit dem deutschen Fußballdebakel bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin? Wahrscheinlich fällt dies unter die Nachrichtensperre des DFB über die Zeit von '33 bis '45. Warum wird der Leser bei Welt- oder Europameisterschaften mit den ewiggleichen Schwätzern vom Schlage eines Christoph Daum oder Max Merkel gequält?
Welch ein Lesevergnügen, wenn bei der nächsten Weltmeisterschaft Dany „rouge“ Cohn-Bendit und Eckhard Henscheid auf der Tribüne säßen und man am darauffolgenden Tag möglicherweise diese Analyse lesen würde: Henscheid: „Warum kann eigentlich in der deutschen Mannschaft keiner mehr einen riskanten Langpaß schlagen?“ Dany: „Weil er dann zum mannschaftsschädigenden Sicherheitsrisiko erklärt würde.“ Henscheid: „Tja, die Gesetze des Rechtskonservatismus scheinen sich auch auf den Fußball auszudehnen — die Räume werden immer enger.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen