: Ratter ratter ratter!
■ VfL Bochum-Borussia Dortmund 2:2/ Eine Halbzeit lang wirbelte, ratschenbefeuert, der neue VfL
Bochum (taz) — Jeder Bundesligastart ist voller Versprechungen! Alles neu! Nichts ist, wie es einmal war. Jetzt geht's los! Vor allem aufwärts natürlich. Oder man bleibt gleich oben und wird noch besser. Olé, olé, olé! Ratter ratter ratter!
Im Bochumer Ruhrstadion ließ der neue Hauptsponsor, ein ortsansässiger Unternehmer für Lottospiel-Systeme, etliche tausend Old- Style-Ratschen aus Plastik verteilen. Ratter ratter ratter! Dann durfte er vom Anstoßpunkt eine Ansprache halten. Ratter ratter ratter! Ein neuer VfL-Song wurde vorgestellt, und zum Mitsingen lief der Text auf der Anzeigetafel: „Wenn alle Stricke reißen. Du bist immer für uns da.“ Uuuuuhuhu. „Mein Herz schlägt nur für dich. Mein V-f-L.“ Uuuuuhuhu. Ach ja, neue Spieler und neuen Schwung, jedenfalls nicht mehr so ein Gegraupe wie im Vorjahr sollte es geben. Dramatische Schwüre und enthusiastische Aufbrüche ins neue Fußballjahr. Ratter ratter ratter!
Nach den Vorfeierlichkeiten machten sogar die Spieler mit. Und wie! Fast eine komplette Halbzeit lang tranchierten sie die Dortmunder Abwehr mit Steil- und Doppelpässen, Absatzkicks und Flankenläufen. Das 1:0 von Uwe Wegmann folgte einem präzisen Anspiel des in Bochum als hüftsteif verschrienen Christian Herrmann. Als in den hitzigen Zweikampfschlachten schon nach einer Viertelstunde per Platzverweis Dortmunds Gerd Poschner auf der Strecke blieb, war das Feld für den Bochumer Kombinationstaumel noch größer. Das 2:0 bereitete der in Bochum als lauffaul verschriene Michael Rzehaczek vor, und Wegmann traf wieder. Die Blinden waren sehend, die Lahmen standen auf und gingen. Ratter ratter ratter! Staun!
Alles würde anders werden in dieser Saison. Die Zukunft würde gülden sein. Fußball so schön wie nie im Ruhrstadion. Oder war es nur ein Traum, daß die Abwehr des italienerprobten Stefan Reuter schon wieder auf links gezogen wurde? Trickste Zauberzwerg Darius Wosz wirklich gleich vier Verteidiger aus? Warum schoß er denn zehn Zentimeter am Tor vorbei? Auch wenn der Gegner nicht der komplette Vizemeister war, weil Chapuisat doch in Estland für die Schweiz kicken mußte und Rummenigge der Zeh zwackte. Trotzdem: Mann oh Mann! Ratter ratter ratter.
Und während die Ostkurve verdattert ratterte, wollte Heiko Bonan den Ball zur letzten großen Einlage der ersten Halbzeit nach vorne spielen. Der brave Michael Lusch, tapferer Recke so vieler Bundesligaschlachten, drosch dazwischen. Flemming Povlsen grätschte in den Abpraller, und schon ging Michael Zorc allein aufs Tor los. Der Anschlußtreffer war kein Problem.
Sieben Minute nach der Pause hatte den VfL die schlechte alte Zeit wieder eingeholt. Waren sie in der letzten Spielzeit das Bundesligateam, das nach Eckstößen die meisten Gegentore kassiert hatte, schloß man genau dort den Bund mit der Vergangenheit. Ecke von links. Frank Heinemann trat neben den Ball, was den einzigen gelernten Floristen der Bundesliga und die Hälfte der 40.000 Zuschauer im Stadion freute. Frank Mill traf zum 2:2.
Da waren sie wieder. All die Selbstzweifel und bleiernen Versagensängste. Schwer bedrückt ob solcher Seelenpein liefen — ach was, schlichen — elf Bochumer über den Platz. Hatten sie der Endlosschleife ewiger Mittelmäßigkeit doch nicht entfliehen können? Angstvoll starrten sie ihre zehn Gegner an, die nun zeigten, wer der Meisterschaftsfavorit war. „Denen ham'se inner Halbzeit bestimmt Kälberhormone gespritzt“, analysierte ein BVB-Fan hinterher. Die Ratschen ratterten matt.
So war die alte Weltordnung ordnungsgemäß hergestellt, und langsam plätscherte das Spiel aus. Die BVB-Fans schwenkten ihre neuen leuchtstiftgelben Kappen, auf denen zu lesen war: „Keiner mag die Schalker.“ Und in ausgelassener schiedlich-friedlicher Stimmung bejubelten die Fans beider Lager die Niederlage von Schalke 04. Das Schöne am Fußball ist eben doch, daß sich nichts ändert. Ratter ratter ratter. Christoph Biermann
Borussia Dortmund: Klos - Reuter - Grauer (46. Kutowski), Schulz - Lusch, Franck, Poschner, Zorc, Reinhardt - Povlsen, Mill (78. Sippel)
Zuschauer: 40.000; Tore: 1:0 Wegmann (15.), 2:0 Wegmann (25.), 2:1 Zorc (45.), 2:2 Mill (49.)
gelbe/rote Karte: Poschner (16.)
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