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DDR-Richterin freigesprochen

Erster Prozeß wegen Rechtsbeugung in der ehemaligen DDR/ Revision soll eingelegt werden  ■ Aus Berlin Ralf Knüfer

Der erste Rechtsbeugungsprozeß gegen die einstige DDR-Richterin Kerstin Teitge und ihren Vorgesetzten Klaus Rosenfeld endete gestern vor der 15. Strafkammer des Berliner Landgerichts mit einem Freispruch. Die Angeklagten standen unter dem Verdacht, die Kündigungsklage eines Mitarbeiters des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) noch im Oktober 1989 aus politischen Motiven als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen und damit bewußt gegen geltendes DDR- Recht verstoßen zu haben.

Das Gericht habe die Aufgabe gehabt, so der Vorsitzende Richter Seiwarth, das DDR-Recht anzuwenden und zu prüfen, ob die Angeklagten „bewußt und wissentlich“ gegen ihre eigene Überzeugung entschieden hätten. Denn nur dann handele es sich nach damals geltendem DDR- Recht um Rechtsbeugung. „Solange das Bestreben des Richters, rechtmäßig zu handeln, erkennbar sei“, so der Vorsitzende, „kann nicht von Rechtsbeugung gesprochen werden“. Und das sei hier der Fall.

Schließlich habe die 28jährige Arbeitsrichterin auf Anweisung des für sie zuständigen Oberrichters Klaus Rosenfeld gehandelt. Der habe in mehreren Besprechungen eine „politische Entscheidung“ von ihr gefordert. Auch wenn das einen Eingriff in die richterliche Autonomie bedeute, so sei das doch üblich gewesen.

Der Mitarbeiter des FDGB hatte seine Stellung als „Leiter für Informationstechnik“ verloren, weil er der Aufforderung, in eine Betriebskampfgruppe einzutreten, nicht nachgekommen war. Das zog den Ausschluß aus der SED nach sich und hatte die Kündigung zur Folge, mit der Begründung, daß er eine politische Vorbildfunktion in einem zentralen Organ der DDR nicht mehr ausfüllen könne.

Als nach der Wende die Kündigung des Mannes aufgehoben wurde, da politische Gründe nicht mehr griffen, fand sich in den Gerichtsakten eine persönliche Stellungnahme der 28jährigen Richterin. Darin bekundete sie Zweifel an ihrer Entscheidung, die nicht mit ihrer Rechtsauffassung konform sei. Vor Gericht sagte sie aus, die Stellungnahme erst nach der Wende den Akten beigefügt zu haben.

Auch wenn jetzt zwei Rechtssysteme aufeinanderprallen, so der Richter, dürfe der Rechtsstaat gleiches nicht mit gleichem vergelten. Große Teile der Presse hatten in dem Fall ein Pilotverfahren gesehen, die andere deutsche Vergangenheit zu bewältigen und mögliche Unrechtsurteile strafrechtlich zu ahnden. In rund 3.200 Fällen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Rechtsbeugung. Trotz des Freispruchs steht schon fest, daß es bis zu einem rechtskräftigen Urteil noch ein weiter Weg ist: Die Staatsanwaltschaft kündigte Revision an.

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