Unheiliges Ende eines Papstes

■ Joseph Diangenda, Oberhaupt der Kimbangu-Kirche, war treuer Anhänger des zairischen Diktators

Es war ein Sakrileg, in der Geschichte Zaires beispiellos, ein unerhörter Tabubruch. Steine flogen am nationalen Trauertag und trafen einen Sarg. Es war der 14.Juli, durch Zaires Hauptstadt Kinshasa zog eine gigantische Begräbnisprozession. Der Tote war ein Papst: Joseph Diangenda, Oberhaupt der traditionsreichen Kimbangu-Kirche und eine der solidesten Stützen des Regimes. Anfang Juli war der verehrte Geistliche im Alter von 74 Jahren gestorben. Doch in einer Zeit, in der die politischen Passionen hochkochen wie nie zuvor, bleibt nichts vom Volkszorn verschont.

Mit Joseph Diangendas Tod geht eine Epoche zu Ende. Sein Vater Simon Kimbangu, Absolvent einer britischen Missionsschule, war ein alter Held des antikolonialistischen Widerstandes. 1921 heilte er in seiner Heimatregion Bas-Kongo Kranke durch Handauflegen und hielt flammende Predigten gegen die belgischen Ausbeuter. Nach sechs Monaten beklagte sich die katholische Kirchenhierarchie bei den Kolonialbehörden über den „xenophoben“ Priester; Simon wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. AlbertI, König von Belgien, wandelte das Strafmaß in lebenslange Haft um. So starb Simon Kimbangu dreißig Jahre später in einem Gefängnis in Lubumbashi, am anderen Ende des Landes.

Als Belgisch-Kongo 1960 in die Unabhängigkeit getrieben wurde, gründete Simons Sohn Joseph zu Ehren des Vaters die „Kirche Jesu Christi auf Erden durch Prophet Simon Kimbangu“. Die protestantisch inspirierte Glaubensgemeinschaft unterstützte zunächst den ersten Präsidenten des Landes, Joseph Kasavubu, ebenfalls aus Bas- Kongo. Nach dem Putsch des heutigen Staatschefs Joseph Mobutu im Jahre 1965 stellte sich „Seine Heiligkeit Papst Diangenda“ unter den Schutz des neuen Herrschers. Er sicherte Mobutu die Loyalität der Bakongo-Bevölkerung, die die Mehrheit der Einwohner Kinshasas ausmacht. Im Gegenzug durfte sich die Kirche über das ganze Land ausbreiten. Acht Millionen Anhänger soll sie heute unter den dreißig Millionen ZairerInnen haben, zwölf Millionen „weltweit“.

Die unheilige Allianz festigte sich 1971, als Mobutu getreu seiner Lehre der afrikanischen „Authentizität“ sein Land in „Zaire“ umbenannte, die christlichen Vornamen abschaffte und alle Kirchen verbot — mit Ausnahme der Katholiken, der klassischen Protestanten und eben der Kimbangu-Kirche. Während die christlichen Amtskirchen langsam in die Opposition rutschten, wurden die „Kimbangisten“ als die „authentischste“ Kirche zu Mobutus besonderem Liebling.

Vater Simon Kimbangu, der große kongolesische Nationalheld, geriet in der offiziellen Theologie zur zairischen Reinkarnation des Heiligen Geistes. Papst Joseph Diangenda wurde zum Offizier des Nationalen Leopardenordens und rief seine Gläubigen dazu auf, beständig „hinter Führer Mobutu“ zu stehen, den einige kimbangistische Priester gar als „Propheten“ bezeichnen. Einziges Zeichen von Unabhängigkeit: Das Tanzen blieb den Kimbangisten verboten. Sogar wenn der „Führer“ rauschende Animationsfeste dekretierte.

Bis zum Schluß blieb Diangenda loyal. Im September 1991, als Kinshasa in Aufruhr und Soldatenterror versank, schützte die Präsidialgarde die kimbangistischen Gottesdienste — der Hauptverantwortliche für die Kirchenfinanzen ist ein Gardeleutnant. Als am 16.Februar 1992 die christlichen Kirchen für Demokratie auf die Straße gingen und die Armee ein Blutbad anrichtete, hielt Diangenda seine Schäfchen im Abseits. Als der Papst schließlich in der Schweiz starb, holte Mobutu seine Überreste per Sonderjet heim.

Aber die Zeiten sind nicht mehr, was sie waren. Ein katholischer Erzbischof leitet die Nationalkonferenz, die soeben den Oppositionsführer Etienne Tshisekedi zum Premierminister gewählt hat. Die Kimbangisten, Säule des „Mobutismus“, sind seit Diangendas Tod gespalten. „Niemand kann seine geistliche Funktion übernehmen“, sagt der Bakongo-Journalist Landu Sassa. Reformisten innerhalb der Kirche bestreiten die Lehre, daß Nationalheld Kimbangu eine Reinkarnation des Heiligen Geistes ist und halten ihn nur für einen Propheten.

Außerdem ist die Kimbangu-Kirche nicht nur eine religiöse Vereinigung, sondern vor allem auch ein wohlhabendes Wirtschaftsimperium mit Schulen, Kliniken, Priesterseminaren und sogar Agrarbetrieben. Sie bereicherte sich nicht nur über den Staat, sondern auch durch Nsinsanis — Spendenwettkämpfe nach den Gottesdiensten, bei denen Entertainer nach Discjockey-Manier unter Fanfarenklängen die meistspendenden siegreichen Personen, Stadtviertel oder Verbände hochleben lassen.

Werden die Kimbangisten Mobutu auch jetzt treu bleiben, oder werden sie ihre acht Millionen Anhänger ins Lager der Demokratie führen? Die Zukunft Zaires — friedlicher Wandel oder Bürgerkrieg — könnte von der Antwort auf diese Frage abhängen. Francois Misser