Bundesweite Aktion von Lesben und Schwulen
: Homos stürmen Standesämter

■ In Berlin und anderen Städten haben gestern über 200 homosexuelle Paare das Aufgebot bestellt, um ihrer Forderung nach Gleichstellung ihrer Lebensgemeinschaften...

Homos stürmen Standesämter In Berlin und anderen Städten haben gestern über 200 homosexuelle Paare das Aufgebot bestellt, um ihrer Forderung nach Gleichstellung ihrer Lebensgemeinschaften mit der Ehe Nachdruck zu verleihen.

Vom Rauschebart des Berliner Familiensenators Thomas Krüger (SPD) rinnt der Schweiß. Es ist unerträglich heiß im Berliner Homo-Switchboard „Mann- O-Meter“, so schwül wie im Tropenhaus, fast so stickig wie im Stau. In einem dreißig Quadratmeter großen Raum quetschen sich über sechzig Menschen. Neun Kamerateams und gut zwei Dutzend Fotografen blenden den SPD-Senator, der zur Feier des Tages in ein altrosanes Jackett schlüpfte. Zu den Klängen Richard Wagners und zusammen mit einem lesbischen und einem schwulen Pärchen schneidet der PR-erfahrene Politiker eine Hochzeitstorte an.

Während Krüger seine Aufmerksamkeit abwechselnd dem Sahnebiskuit und Mikrofonen widmet, atmen die Aktivisten des „Schwulenverbands in Deutschland“ (SVD) und der „Schwulen Juristen“ auf. Ihre „Aktion Standesamt“ war ein voller Erfolg. Im gesamten Bundesgebiet folgten über zweihundert lesbische und schwule Paare in rund fünfzig Städten ihrem Aufruf, um 11 Uhr auf dem örtlichen Standesamt das Aufgebot zu bestellen. Denn nach den Vorstellungen des Schwulenverbands sollen in Deutschland dänische Verhältnisse einkehren und Hochzeitsglocken auch für Homos läuten dürfen.

Aus Liebe, aber auch aus Überzeugung

Der 25jährige Selman und der 18jährige Mario haben den Tag kaum erwarten können. Schon um 10 Uhr machen sich beide auf den Weg zum Standesamt im Berliner Bezirk Charlottenburg. Zur ihrer Überraschung werden sie von der Standesbeamtin freundlich empfangen und können ihren Antrag und ihre beglaubigten Urkunden problemlos einreichen. Selman und Mario wollen aus Liebe, aber auch aus politischer Überzeugung heiraten. „Es geht um Gleichberechtigung“, sagt Mario, und sein künftiger Gatte Selman, ein Kurde, will um mehr Rechte für binationale Partnerschaften kämpfen.

Doch die Motivationen der schwul-lesbischen Hochzeitsschar sind sehr unterschiedlich. Beileibe nicht alle betrachten ihren Gang zum Standesamt als emanzipatorischen Akt. In Charlottenburg sind einige ältere Paare darunter, die seit Jahren zusammenleben, mit der Homoszene wenig zu tun haben und endlich Steuervorteile der Heteros in Anspruch nehmen wollen. Ein schwuler HIV- Positiver will durch Heirat rechtzeitig seinen Freund als Alleinerben festsetzen, um die verhaßten Eltern um ihren Pflichtanteil zu bringen. Lesbische Pärchen stellen bei der „Aktion Standesamt“ die Ausnahme.

„Gibt es nach dem Aufgebot denn keine Demo?“ fragt der Reporter eines Kommerzsenders enttäuscht den Aktivisten des Schwulenverbands. Die Regenbogenpresse und die privaten Funkhäuser hatten sich vom Massenaufgebot mehr versprochen. Statt Fummel und Glitter gab es geschniegelte Pärchen und politische Argumentation.

Manche Bilder der Fotografen bringen die Stimmung aber auf den Punkt. Ein Pärchen posiert auf einer alten Holzbank, deren eingeschnitzte Inschrift nicht besser passen könnte: „Fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal“. Geduld nämlich müssen die heiratswilligen Lesben und Schwulen aufbringen. Der Schwulenverband erwartet, daß die meisten Anträge auf Bestellung des Aufgebots abgelehnt werden. „Das soll jedoch den Auftakt für eine Prozeßlawine bilden“, kündigt Sprecher Bodo Mende an. Man werde erst bei den Amts- beziehungsweise Kreisgerichten Widerspruch einlegen, um dann vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Grundsatzentscheidung zu erzielen.

Einzelne Standesämter ernten Buhrufe

Auf der Pressekonferenz im Mann- O-Meter werden die Erfahrungen aus den einzelnen Standesämtern zusammengetragen. Es ist wie an Wahlabenden, wenn die Spitzenergebnisse der Parteien in den einzelnen Wahlkreisen bekanntgegeben werden. „In Friedrichshain wurden wir ganz freundlich empfangen“, brüllt einer von vorn. „Auch in Schöneberg waren sie aufgeschlossen“, schallt es von hinten. Buhrufe dagegen für die Weigerung der Neuköllner Standesbeamten, die Aufgebotsanträge entgegenzunehmen. Erstaunlich ist vor allem, daß sich die meisten Bezirke nicht an eine Anweisung des Berliner Innensenators Dieter Heckelmann (CDU) hielten, die Aufgebotsbestellungen nicht entgegenzunehmen.

„Berlin, du kannst stolz auf deine Lesben und Schwulen und deinen Familiensenator sein“, jubelt SVD- Sprecher Bodo Mende vor versammelter Presse. Die Hochzeitsschar johlt, und auch dem Berliner Senator Krüger scheint das Bad in der lesbisch-schwulen Menge gut zu tun. Erst am Dienstag hatten ihn die CDU-Kollegen in der Senatssitzung wegen seines Einsatzes für die Homo-Ehe gerügt. Doch Krüger läßt sich nicht beirren. „Wenn das erste Homopaar in Deutschland heiraten darf, bin ich dabei und spendiere einen Glückspfennig“, verspricht er. Und an seinem Rauschebart kleben neben Schweißtropfen auch einige Tupfer Tortensahne. Micha Schulze, Berlin