Das Findelkind in der Spieluhr

■ Movimientos 92: Das katalanische Tanztheater Danat Danza mit ...A Kaspar

: Das katalanische Tanztheater Danat Danza
mit ...A Kaspar

Eine Drehscheibe als Bühne, dahinter ein Turm, der sich aufklappen läßt wie ein überdimensioniertes Schmuckkästchen, zwei Tänzer, vier Tänzerinnen und eine Matrone – das sind die Zutaten für die Choreografie Y quedare delante de los muros inmensos...A Kaspar („Und ich werde vor riesigen Mauern warten... An Kaspar“). Die Geschichte des Kaspar Hauser, der 1828 in Nürnberg als 18jähriger ohne Vergangenheit gefunden wurde, gehört zu den Geschichten, die immer wieder erzählt werden müssen. Die katalanische Gruppe Danat Danza zeigt sie beim Sommertheater Movimientos 92 in der Kampnagelfabrik als assoziativen Reigen.

Das Rund wird in Bewegung gesetzt, mit den Händen in Schwung gebracht von Tänzerinnen und Tänzern, die aus dieser Arbeit mitunter ausscheren, um auf dem durch die Fliehkraft unsicheren Untergrund ihre urtümlich wirkenden Pirouetten zu drehen. Die Matrone steht am Rande, Röcke über Röcke trägt sie über ihren üppigen Hüften, und nur manchmal gerät sie selbst in Schwingung oder birgt einen Schutzsuchenden unter ihrem malerisch-schmuddeligen Gewand.

Keine Entwicklung, keine lineare Geschichte wird gezeigt. Sabine Dahrendorf und Alfonso Ordonez fächern in ihrer Choreografie ...A Kaspar wie in einem Kaleidoskop die Befindlichkeiten auf, die sie an der Gestalt Kaspar Hausers interes-

1sierten: der menschenunkundige Kaspar, der aus seiner wortlosen Welt in die Menschenwelt auszubrechen versuchte, und der Akt der Dressur, mit dem er zu einem „Menschen“ gemacht werden sollte. In dem einfachen, multifunktionalen Bühnenbild von Jose Menchero gelingen eindrucksvolle Bilder, die von der minimalistischen

1Musik Juanjo Ezquerras unterstrichen werden. Oft wie eine stampfende Spieluhr, dann wie eine große Konzertdrehorgel auf dem Jahrmarkt treibt sie zumeist im Dreivierteltakt die beiden Kaspars und vier Kasparinnen in ihren schlichten Wämsen, Hosen und Röcken durch die Bilder. Diese legen in ihrer Vieldeutigkeit die Assoziationsmöglichkeiten des Publikums kaum fest, so daß sie mitunter Gefahr laufen, beliebig zu wirken. So geben schwere, große Uniformmäntel, in die sich die Kaspars von heute mühsam hüllen, Hinweise auf Drill und Ordnung, doch fliegen eben diese Mäntel in den unbändigen Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer so schön, daß sie eher an Schmetterlinge erinnern. Eindrucksvoll prägen sich jedoch wieder die akustischen Anspielungen ein, wie das Getrappel unzähliger Schuhe, die in Kaspars Gefängnis sein einziger hörbarer Kontakt zur Außenwelt gewesen sein mögen. Aber zu oft ist die Musik so laut wie in der Disco. Das störte schon die Konzentration. jk