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Ein verlorener Blick in die Ferne

■ Eine Ausstellung über die Arbeit der Choreographin Hilde Holger im Verborgenen Museum

Das Verborgene Museum in einem Hinterhof in der Schlüterstraße ist eine Galerie, die von Frauen geführt wird, Kunst von Frauen dokumentiert und auch meistens von Frauen besucht wird. Und so sind zur Eröffnung der Fotoausstellung über die Tänzerin und Choreographin Hilde Holger denn auch die meisten Besucherinnen Frauen. Die paar anwesenden Männer halten sich diskret im Hintergrund.

Die Fotos sind in drei Blöcke zusammengefaßt, die den entscheidenden Lebensabschnitten Hilde Holgers entsprechen: 1905 in Wien als Kind jüdischer Eltern geboren, beginnt sie schon als Mädchen zu tanzen und tritt als Vierzehnjährige in die Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst ein. Sie studiert bei Gertrud Bodenwieser, einer bekannten Choreographin, die in der Tradition von Loie Fuller und Isodora Duncan steht. Hilde Holger wird bald die Assistentin Gertrud Bodenwiesers und verzeichnet 1923 mit ihrem ersten Soloabend einen großen Erfolg. Sie gründet eine eigene Tanzschule und choreographiert auch für andere Gruppen in Wien. Diese produktive Zeit findet durch die Machtübernahme der Nazis ein jähes Ende; Hilde Holger bekommt durch Freunde ein Visum und flieht nach Indien. Anfangs hat sie große Schwierigkeiten, sich dort als Tänzerin gegen bestehende Kulturtraditionen durchzusetzen. Sie erhält aber wichtige Inspirationen, die für die Weiterentwicklung des modernen Tanzes wichtig werden. Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 verläßt sie das Land gemeinsam mit ihrer Familie und geht nach London, wo sie auch heute noch lebt und arbeitet. Hilde Holger hat einen Großteil ihrer Arbeit Kindern gewidmet und dabei bahnbrechende Theorien für die Tanztherapie mit geistig und körperlich behinderten Kindern entwickelt, die sie in Europa bekannt gemacht haben.

Es ist ein bewegtes und bewegendes Leben, das in dieser Ausstellung dokumentiert werden soll, und es ist sicher sehr schwierig, das nur mit Fotos und Kostümentwürfen zu versuchen. Die Bilder aus der Wiener Zeit sind dabei noch am aussagekräftigsten, weil man einen klaren Einblick in Darstellungsformen dieser Zeit bekommt. Im Ganzen wirkt die Ausstellung allerdings etwas hilflos und wird dem Werk dieser bemerkenswerten Frau nicht wirklich gerecht. Den Veranstalterinnen ist dieser Umstand wohl auch bewußt. Die Besucher können ein Video anschauen, in dem Hilde Holger über ihre Arbeitsweise erzählt und Ausschnitte aus ihrem Training mit Kindern zu sehen sind. Das Video verschafft dem unfertigen Charakter der Ausstellung zwar Abhilfe, ist aber in seiner Ton- und Bildqualität unzureichend.

In ihrer Wiener Zeit war Hilde Holger mit Größen wie Stefan Zweig und Elias Canetti eng befreundet. Berühmte Architekten dieser Jahre haben für sie Kostümentwürfe und Bühnenbilder geschaffen. Der Maler Egon Schiele hat Hilde Holger sehr beeindruckt, und sie war fasziniert von seiner Art, Hände zu malen. Ein Foto gibt es, das darauf verweist und das mich tief berührt hat: Es heißt »Meditation« und wurde 1941 in Bombay aufgenommen. Hilde Holger sitzt, gekleidet in ein weiches Gewand, hoch aufgerichtet, der Blick in die Ferne verloren. Ihre Hände, in Brusthöhe gehalten, öffnen sich dem Betrachter und ziehen seinen Blick magisch an. Allein dieses Foto ist den Besuch der Ausstellung wert. Sibylle Burkert

Die Ausstellung ist bis zum 4. Oktober zu sehen. Verborgenes Museum, Schlüterstraße 70, geöffnet Do. und Fr. von 15-19, Sa. und So. von 12-16 Uhr.

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