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EIN CHAMPAGNER-SOZIALIST ALS WITWENSCHRECK Von Ralf Sotscheck

Wer angesichts des ehemaligen britischen Labour-Chefs Neil Kinnock und seines um einige Stufen graueren Nachfolgers John Smith glaubt, bei der Labour Party seien die schillernden Persönlichkeiten ausgestorben, liegt völlig schief: John Ryman ist das beste Beispiel dafür. Als Parteichef kommt er freilich nicht mehr in Frage.

Rymans Stern ging sehr langsam auf. Es dauerte fast 20 Jahre, bis er endlich den Abgeordnetensitz ergattert hatte, hinter dem er seit Abschluß seines Jurastudiums 1956 her war. Er brachte sogleich Farbe ins Parlament — meist in Form von roten Köpfen bei seinen Gegnern. Margaret Thatcher bezeichnete er als „Hohepriesterin der Tory-Ursünde“, den Vizechef der Kohlenbehörde als „nadelgestreiften Flachkopf“ und Kanzler Helmut Schmidt als „gönnerhaften Hunnen“.

Bei seiner politischen Richtung war man vor Überraschungen ebenfalls nie sicher: Er kleidete sich wie ein Tory, bezeichnete sich als Linksradikaler, kämpfte gegen die „linke Infiltration der Labour Party“ und trat aus diesem Grund 1987 aus der Partei aus. 1979 forderte er die Wiedereinführung der Todesstrafe und stimmte vier Jahre später dagegen. Ryman lebte in einer Wohnung in Chelsea, die 1.200 Mark pro Woche kostete, fuhr einen Jaguar und feierte regelmäßig Partys im Savoy Hotel. Dafür hätte nicht mal das Salär des Premierministers ausgereicht. Zwar hatte er in seinem Beruf als Rechtsanwalt alle Hände voll zu tun, doch war er selbst sein bester Kunde. Freund und Feind überzogen ihn mit Beleidigungsklagen, mehrmals stand er wegen Betruges vor Gericht. Um seinen aufwendigen Lebensstil nicht einschränken zu müssen, verfiel Ryman schließlich auf eine glänzende Idee: Mit seinem berüchtigten englischen Charme baggerte er reiche Witwen an, heiratete sie und machte ihnen weis, daß ihr Geld in einer Schweizer Bank am besten aufgehoben sei — auf seinem Konto, versteht sich. Er brachte gar das Kunststück fertig, sich von einer der Witwen das Geld für die Flitterwochen mit einem neuen Opfer zu „leihen“. Eine Freundin verklagte er auf Zahlung eines Urlaubs in Südfrankreich. Vor kurzem hatte Ryman seinen vorerst letzten Auftritt im Gerichtssaal — wiederum in eigener Sache. Er war angeklagt, zwei Witwen um ihre gesamten Ersparnisse in Höhe von 130.000 Pfund betrogen zu haben. Der Richter verurteilte ihn zu zweieinhalb Jahren Knast.

Wen wundert es, daß Rymans Freunde rar geworden sind? Lediglich Peter Mortakis, sein früherer Wahlhelfer, hält noch zu ihm. Der leidet jedoch an allzu blühender Phantasie. Hinter Rymans Unglück steckten „üble und mächtige Kräfte“, behauptet Mortakis — mit anderen Worten: der Geheimdienst MI5. Die Schnüffler hätten die Gerichtsprozesse gegen Ryman gesteuert und den linken Labour-Flügel finanziert, um Rymans Austritt aus der Partei zu forcieren. Auch der Einwand, daß der MI5 — dem zwar sämtliche Schlechtigkeiten zuzutrauen sind — Ryman wohl kaum die nichtsahnenden Witwen in die Arme getrieben habe, beeindruckt Mortakis nicht. Da der Spitzeldienst seinen Kumpanen finanziell ruiniert habe, blieb ihm gar nichts anderes übrig: „Wenn man einem Mann seine Krücke wegnimmt, fällt er auf die Fresse.“ Eine der mindestens sechs Witwen, die Ryman um Haus und Hof gebracht hat, vertritt eine andere Theorie: „Ryman ist einfach ein widerlicher Scheißer.“

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