piwik no script img

Im Maßstab 1:1,5

„Territorium Artis“ — Pontus Hultens Debüt in der Bundeskunsthalle Bonn  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

Ausstellungen, die Wendepunkte in der Kunst markierten, gab es in den letzten hundert Jahren nicht eben wenig, selbst eine Ausstellung, die einige solcher Ausstellungen rekonstruierte („Stationen der Moderne“, Berlin 1988).

Insofern bringt die von Pontus Hulten inszenierte Schau nichts Neues, statt dessen einen globalen Anspruch: Weltbewegendes! „Territorium artis“ — der Titel legt's nahe: Hier hat sich einer daran gemacht, in einem unübersichtlichen Gelände — der Kunst des 20.Jahrhunderts — Wegmarken einzustecken.

Hulten war, unter anderem, Direktor des Moderna Museet in Stockholm und des Centre Pompidou in Paris, ehe ihn der deutsche Steuerzahler als „Intendanten“ für die Kunst in Bonn verpflichtete. Soll heißen: Er verfügt über, erstens, ein erhebliches Maß an Erfahrung, zweitens exquisite Verbindungen und, drittens, das nötige Geld.

Das Konzept ist überzeugend, die Präsentation souverän. Die Entwicklung von 100 Jahren Kunst in 150 Werken dargestellt, das macht anderthalb Werke pro Jahr, wobei das Kriterium gleich mit umschrieben wäre: „Points of no return“, Positionen, hinter die es für die Kunst des 20.Jahrhunderts kein Zurück mehr gab. Eine — naturgemäß — äußerst subjektive Auswahl.

Hier wurden keine größeren Verwerfungen bis zur Begehbarkeit planiert, keine Richtungsänderungen systematisch ausgeschildert, kein Wechsel des Terrains mit dem museumspädagogischen Schlagbaum verstellt.

Weder Stile noch -ismen verzeichnet diese artifizielle Karte, sondern ihre Längen- und Breitengrade markieren Fragestellungen. Und genau das macht das Konzept ebenso einfach wie einleuchtend. Fragen der Zeit und der Bewegung, des Raumes und des Materials, des Verhältnisses von Bild und Sprache, von Repräsentation und Reproduktion, von seriöser Konstruktion und spielerischer Destruktion. Vor allem aber: Diese Fragestellungen sind für den Besucher erkennbar, sichtbar, nachvollziehbar. Mal prägen Gegensätze die Anordnung, mal bilden sich Blöcke, mal entstehen Korrespondenzen.

Und gerade diese Korrespondenzen sind es, welche die Zusammenhänge herstellen. In einem Raum reden „erzählende“ Werke eines Edward Kienholz oder Jeff Wall auf die serielle Verschlossenheit eines Robert Smithson oder Donald Judd ein.

Über der bleiernen Schwere eines aus Platten zusammengesetzten Quadrats von Carl Andre schwingt leicht und frei ein Neon-Lasso von Lucio Fontana, an der Wand drei monochrome Bilder von Yves Klein, ein wortkarger Disput über formale Reduktion, über das Material und seine Oberflächenbeschaffenheit, über das Licht, seine unterschiedlichen Formen und Wirkungen.

Vor allem die Korrespondenzen über mehrere Räume hinweg wurden mit feinem Gespür ausgesucht und gesetzt. Etwa wenn auf Matisse' nahezu abstraktes „Offenes Fenster“ (1914), durch dessen nur zum Teil geöffnete Schlagläden man nichts als schwarze Nacht sieht, drei Stellwände weiter Barnett Newman dieses Fenster in reine, vertikale Flächen verwandelt („The Word II“, 1954). Durch die Übereinstimmung der Farben (Blau-)Grün und Schwarz erscheint Newmans Werk wie ein Ausschnitt des Matisse-Bildes und unterstreicht seinen wesentlichen Aspekt der Moderne: daß die Antwort, die jedes herausragende Kunstwerk darstellt, seinerseits eine Reihe neuer und detaillierter Fragen aufwirft.

Im Eingang schreitet dem Besucher ein Torso Rodins als Spiegelbild entgegen. Gebrochen wird dessen flüssiger Bewegungsablauf erst durch Eadward Muybridges Photographieserie eines „Aktes, die Treppe herabsteigend“, Titel und Thema bleiben dieselben, das Problem stellt sich neu in Duchamps berühmtem Bild (hier als „Fälschung“ Andre Raffrays zu sehen) und Gerhard Richters Abmalung einer unscharfen Photographie. — Die Moderne erweist sich, bei aller Neigung zum Bruch und zur Radikalität, als ausgesprochen traditionsbewußt. Auffällig aber auch, wie wenig „richtige Bilder“ Hulten für die Kunst nach 1945 offenbar gelten läßt. Ein bißchen Pop-Art (Jasper Johns), aber kein Stella, kein Baselitz und kein Kirkeby, nicht einmal ein Kiefer. On Kawaras Datumsbilder zeigen zumindest zweierlei: daß von Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ noch eine Nebenstraße wegführt und, in der ehrenwerten Gesellschaft John Baldessaris, Jenny Holzers, Edward Ruschas und anderer, die eminente Bedeutung von Schrift, Sprache, Kommunikation.

In zwei großen Räumen, durch Zwischenwände locker unterteilt und auf den ersten Blick historisch gegliedert, dehnt sich die Ausstellung daher vor allem thematisch aus. Hulten erläutert sein Verständnis der Kunst des 20.Jahrhunderts so: „Man könnte sich in Gedanken ein dreidimensionales Modell vorstellen, in dem das Territorium der Kunst als eine sich ausdehnende Kugel erscheint. Die Kunst nimmt heute in der Welt einen bedeutenderen Platz ein als früher, sie befaßt sich mit Fragen, denen man sich früher nicht in künstlerischer Weise näherte. Die Kunst hat sozusagen ihr Territorium erweitert.“ Allerdings könnte man diese Expansion auch weniger poetisch deuten. Die Leinwände, die Installationen, die Projekte, die Ausstellungen, alles wird, in Schüben, größer: Erweiterung des Horizontes oder nur Steigerung eines künstlerischen Bruttosozialproduktes, eine verbrämte Ideologie unbegrenzten Wachstums?

Ins Bild gepreßt hat dies auf anschauliche Weise Michelangelo Pistoletto (1966) mit seiner „Mappamondo“, einer Weltkugel aus Zeitungspapier in einer größeren Kugel aus Drahtgeflecht: Die Welt ist zu klein für ihr Maßwerk. Längen- und Breitengrade erweisen sich als Gefängnis des Wachstums für eine doppelt vermessene Welt.

Bis zum 20.September in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen