: Bosnische Offensive: „Leben oder Tod“
■ Die Verteidiger von Sarajevo haben möglicherweise Anschläge gegen eigene Bevölkerung initiiert
Sarajevo (AP/taz) — Die Verteidiger von Sarajevo haben gestern begonnen, den serbischen Belagerungsring um die bosnische Hauptstadt zu durchbrechen. Einheiten der bosnischen Regierungskräfte griffen serbische Stellungen im Südwesten von Sarajevo an. Kommandeur Zaim Hakovic teilte mit, Ziel der Aktion sei es, eine Bresche durch den Belagerungsring zu schlagen und so die Verbindung zu bosnischen Einheiten hinter den serbischen Stellungen herzustellen. Die Offensive werde von Präsident Alija Izetbegovic persönlich geleitet und stehe unter der Parole „Leben oder Tod“.
Wie Ärzte mitteilten wurden bereits zahlreiche Soldaten und Zivilpersonen getötet oder verletzt. Nach Ansicht politischer Beobachter wollen die bosnischen Moslems noch vor Beginn der internationalen Jugoslawienkonferenz am kommenden Mittwoch eine Änderung der militärischen Lage erzwingen.
Schon in der Vergangenheit hatten die Verteidiger Sarajevos offenbar wiederholt zu Gewaltakten gegriffen, um eine ausländische Intervention zu provozieren. So kursieren nach der Londoner Tageszeitung The Independent in UNO-Kreisen Papiere, aus denen hervorgeht, daß einige der spektakulärsten Angriffe möglicherweise nicht von Serben, sondern von Moslems selbst initiiert wurden. Dazu gehört dem Blatt zufolge auch der Beschuß einer nach Brot anstehenden Menschenschlange am 27. Mai. Damals kamen mindestens sechzehn Menschen ums Leben. Mißtrauen erweckte zum einen der Fakt, daß unmittelbar nach dem Geschehen ein Kamerateam zur Stelle war, dessen Bilder von blutüberströmten Menschen um die Welt gingen.
Andererseits kam der Anschlag gerade zur rechten Zeit — nämlich unmittelbar vor einem EG-Treffen, auf dem über Sanktionen gegen Serbien beraten wurde.
Des weiteren, so The Independent, könnten der Granatwerferbeschuß am 17. Juli und die Explosion am 4.August beim Begräbnis zweier Flüchtlingskinder von den Verteidigern von Sarajevo verübt worden sein.
Der Sprecher des bosnischen Präsidenten Izetbegovic, Kemar Muftic, hat dagegen die Vorwürfe als Verleumdungen zurückgewiesen: „Es ist einfach lächerlich zu glauben, daß wir uns selbst abschlachten würden“, sagte er.
Auch am Samstag kam es wieder zu verschiedenen Anschlägen, deren Urheber noch ungeklärt sind. So wurde das Hauptquartier der UNO- Friedenstruppe in Sarajevo von vier Mörsergranaten getroffen, die hohen Sachschaden anrichteten. Dabei entging der neue UNO-Kommandeur, der ägyptische Brigadegeneral Ali Abdul Rasek, dem Angriff nur knapp. Er fuhr wenige Minuten später vor dem Gebäude vor, nachdem er Izetbegovic seinen Antrittsbesuch abgestattet hatte.
Ein weiteres Mörsergeschoß traf eine Kaserne in der Nähe des Kosevo-Krankenhauses, wo drei Soldaten der bosnischen Territorialstreitkräfte getötet wurden. Bereits am Samstag morgen hatten die Kämpfe ein solches Ausmaß erreicht, daß der Flughafen von Sarajevo wieder vorübergehend geschlossen wurde.
Zwölf Stunden später wurde ein ZDF-Fernsehteam von serbischen Sicherheitskräften zusammengeschlagen und deren Ausrüstung zerstört. Während Filmautor Christoph Maria Fröhder mit vorgehaltener Waffe über die Grenze nach Bulgarien abgeschoben worden sei, werde, so das ZDF am Sonntag in Mainz, der Kameramann Hermann Wohlberg immer noch festgehalten. Fröhder und Wohlberg hielten sich zu Recherchen über Verstöße gegen das UN-Embargo gegen Serbien und Montenegro im bulgarisch-serbischen Grenzgebiet auf.
Unterdessen gab der Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, in Belgrad ein weiteres seiner unzähligen Lippenbekenntnisse ab, die in der Vergangenheit stets ohne Folgen blieben: Ab sofort werde auf die „Umsiedlung der Zivilbevölkerung“ verzichtet. Eine entsprechende Anweisung hätten alle Kampfeinheiten bereits erhalten. Auch solle dem Internationalen Roten Kreuz (IRK) eine vollständige Liste aller Häftlinge in den Gefangenenlagern der bosnischen Serben übergeben werden.
Deutsche Firmen beliefern Serben
Deutsche Firmen unterstützen möglicherweise trotz des Embargos der Vereinten Nationen die kriegführenden Serben mit illegalen Lieferungen. Rund hundert Hinweise auf die Beteiligung deutscher Unternehmen an Verstößen gegen das Handelsembargo liegen dem Zollkriminalamt in Köln inzwischen vor. Das erklärte Behördensprecher Leonhard Bierl im Gespräch mit der Kölnischen Rundschau (Samstagsausgabe).
Die Hinweise werden derzeit von den Zollfahndungsämtern überprüft. In drei Fällen habe sich nach Bierl der Verdacht bereits konkretisiert. So soll eine nordrhein-westfälische Firma Chemikalien und Maschinenöl auf dem Umweg über Rumänien an serbische Abnehmer geliefert haben. Gegen einen Druckereibetrieb in Hessen ermittele die Staatsanwaltschaft in Darmstadt wegen des Handels mit Druckplatten. Das Embargo zu umgehen bereitet den Unternehmen nach dem Zeitungsbericht aber offenbar kaum Probleme.
Wie Bierl erklärte, haben serbische Firmen die Einfuhrpapiere mit erbeuteten kroatischen Behördenstempeln verfälscht, während deutsche Exporteure ihre Ware zunächst nach Rumänien oder Griechenland schaffen. BZ
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