: Jugoslawienkonferenz: Zu wenig, zu spät!
Am Vorabend der Londoner Konferenz sind sich alle Teilnehmer nur in einem einig: Einen Durchbruch wird es nicht geben ■ Von Christian Semler
Am Vortag der Londoner Friedenskonferenz für das ehemalige Jugoslawien steht eigentlich so gut wie nichts fest — außer dem Teilnehmerkreis. Unter dem Doppelvorsitz von John Major als amtierendem Ratspräsidenten der EG und Butros Ghali als Generalsekretär der UNO sind die Vertreter aller Nachfolgerepubliken des alten Jugoslawien geladen — ferner die Anrainerstaaten, die Türkei, Ägypten und die tschechoslowakische Regierung, die turnusgemäß den Vorsitz der KSZE innehat. Über das Schicksal des auseinandergefallenen Jugoslawien zu beraten, dürfte damit die letzte außenpolitische Aktion der CSFR sein, bevor sie das gleiche Schicksal ereilt.
Auch Serbien und Montenegro werden präsent sein, ebenso der Ministerpräsident Rumpf-Jugoslawiens, Panic. Ihm allerdings wird die formelle Teilnahme verwehrt bleiben, da sein Land nach Auffassung der KSZE wie der EG nicht als Rechtsnachfolger des untergegangen Jugoslawien anzusehen ist. Erstmalig wird die albanische Bevölkerung des Kosovo durch ihren Präsidenten Rugova vertreten sein. Die Muslime des Sandschak werden dagegen in London ebenso ohne Stimme bleiben wie die Ungarn der Wojwodina. Letztere können immerhin darauf zählen, daß die Republik Ungarn ihre Interessen vertritt.
Vor Konferenzbeginn ist die Öffentlichkeit jedoch alles andere als hochgespannt. Denn Mißerfolg ist der kleinste gemeinsame Nenner aller bisherigen Balkan-Friedenskonferenzen. Vergeblich hatte sich schon Bismarck 1876 um einen fairen Ausgleich bemüht — die Rivalität zwischen Rußland und der Donaumonarchie um die Vorherrschaft auf dem Balkan trat im August 1914 nicht umsonst in Sarajevo offen zutage. Die neue Balkan-Krise seit Ende der 80er Jahre unseres Jahrhunderts war hingegen gerade von der Abwesenheit dominierender Großmächte gekennzeichnet. Da Jugoslawien mit dem Ende der Blockkonfrontation für den Westen uninteressant geworden war, überließ man es seinen Wirren. Wo internationale Organisationen eingriffen, zuerst auf der KSZE-Konferenz in Berlin 1991, geschah dies stets zu spät und mit ungeeigneten Mitteln, die prompt ihr Ziel verfehlten.
Wäre der Sicherheitsrat der UNO im Sommer 91 der Bitte Bosnien- Herzegowinas gefolgt und hätte an den Grenzen der Republik UNO- Truppen als „Puffer“ stationiert, wäre das Leben Zehntausender Menschen gerettet worden. Hunderttausenden wäre überdies das Flüchtlingselend erspart gebieben. Doch noch vor einem Jahr hielten EG und USA an der Fiktion eines fortbestehenden Jugoslawien fest. Die Mitverantwortung des Westens für die jetzige Katastrophe wird jedoch auch in London kein Thema sein.
Ziel der Konferenz ist, so der Sprecher des Auswärtigen Amtes der BRD, die Koordinierung von Friedensbemühungen verschiedener internationalen Organisationen. Geplant ist die Einsetzung eines neuen Gremiums auf „breiter Grundlage“, das die Bemühungen Lord Carringtons fortsetzen soll. Politische Grundlage, so der Sprecher des Auswärtigen Amtes, sei nach wie vor der Friedensplan Lord Carringtons — also die Anerkennung der Nachfolgerepubliken Jogoslawiens in ihren ehemaligen Grenzen, die Rückkehr der Flüchtlinge und ein international garantierter Minderheitenschutz in jeder einzelnen Republik. Das Problem ist nur, daß mittlerweile Fakten geschaffen wurden, die die Verwirklichung dieses Planes so gut wie ausschließen. Auch unter UNO-Kontrolle wird in den serbisch besetzten Gebieten Kroatiens die Vertreibungspolitik fortgesetzt. In Bosnien- Herzegowina zeigt die serbische Seite keinerlei Absichten, von ihr eroberte Territorien zu verlassen.
Aller Voraussicht nach werden sich die Beratungen der Konferenz auf Bosnien-Herzegowina konzentrieren. Hier stehen sich die Linie der „Föderalisierung“ nach dem Vorbild der CSFR und das Projekt der „Kantonalisierung“ gegenüber. Letzterer Vorschlag, wie er in Verkennung der fatalen Folgen von EG- Vertretern auf der Lissabonner Konferenz vorgeschlagen wurde, wäre nur die Vorstufe für den „Anschluß“ des serbischen Kantons an Rumpfjugoslawien. Im Gegenzug würde sich der kroatische Kanton mit seinem „Mutterland“ vereinen. Übrig und ohne Dach über dem Kopf blieben Hunderttausende der bosnischen Volksgruppe. Vom britischen Außenminister wurde im Vorfeld der Konferenz betont, eine Anerkennung der serbischen Eroberungen in Bosnien käme nicht in Frage. Aber gerade auf diese „ethnisch gereinigten“ Gebiete will weder die serbische Seite in Banja Luka noch die Regierung Panic in Belgrad verzichten.
Wenn schon die politische Zielsetzung der Konferenz verschwimmt, wie steht es dann um Maßnamen, die das Massensterben in den Kesseln von Gorazde, Sarajevo oder Bihac verhindern könnten? Übereinstimmung bei den meisten Teilnehmerländern besteht darin, die Embargo-Maßnahmen gegen Rumpfjugoslawien effektiver zu machen. Der Embargo-Brecher Griechenland hat den Ölexport auch nach Mazedonien eingestellt. Bulgarien und Rumänien würden eine internationale Kontrolle dulden. Wären aber solche Kontrollen hinreichend, Rußland von weiteren Öllieferungen abzuhalten? Diesem Ziel soll eine stärkere Einbindung der russischen Regierung in künftige Vermittlungsaktionen dienen.
Übereinstimmung besteht auch darüber, Restjugoslawien politisch weiter zu isolieren, es endgültig aus der KSZE, eventuell auch aus der UNO auszuschließen. Die Deutschen versuchen darüber hinaus, institutionelle Voraussetzungen für die Aburteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schaffen. Dazu würde nach Bonner Auffassung gehören, daß die Londoner Konferenz die Anwendung der Völkermord-Konvention der UNO beschließt. Ein nicht sehr aussichtsreicher Vorstoß.
Aber das eigentliche Problem, wie den jetzt unmittelbar vom Tode Bedrohten geholfen werden kann, ist damit nicht gelöst. Zwar haben bislang vier Staaten ihre Bereitschaft erklärt, Kontingente für die Sicherung „humanitärer Aktionen“ bereitzustellen. Aber damit wäre angesichts der notwendigen Truppenstärke von 100.000 Mann für einen „Korridor“ Split-Sarajevo nichts gewonnen. Im Milieu der Nato wird erwogen, Begleitkonvois aufzustellen, wozu circa 10.000 Soldaten ausreichen würden. Es ist unwahrscheinlich, daß über diesen Komplex in London ein Beschluß gefaßt wird — dafür sorgt schon die Haltung der USA, die jeden Einsatz amerikanischer Bodentruppen ablehnen. Dabei böten militärisch gesicherte Hilfstransporte in eingeschlossene Orte wie Gorazde die einzige realistische Möglichkeit, den Prozeß der ethnischen Säuberung aufzuhalten. So bleibt zu befürchten, daß auch diese Konferenz unter dem fatalen Signum „zu wenig, zu spät“ stehen wird.
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