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Das Bequeme und das Unbequeme

■ Christoph Schroth wird neuer Intendant am Staatstheater Cottbus. Eine Reise nach Cottbus, auch in eigener Sache

Der Zug, der vom Bahnhof Berlin- Lichtenberg um 7.46 Uhr abfahren soll, hat Verspätung. Das hat sich also nicht geändert. Während ich auf sein Kommen warte, wird mir bewußt, daß ich fast auf den Tag genau vor acht Jahren diese Reise zum ersten Mal gemacht habe. Damals war's allerdings kein Tagesausflug wie heute, sondern der Start in ein neues Leben. In meinem geliehenen Koffer befand sich mein Diplom und ein unterschriebener Arbeitsvertrag: Regieassistentin am Theater der Stadt Cottbus.

Das Theatergebäude am Schillerplatz gehört zu den schönsten Häusern der Stadt im östlichsten Zipfel von Brandenburg. Als ich damals dort anfing, wurde es gerade restauriert, so daß wir in einem Kulturhaus Theater spielen mußten, wo es immer nach Essen roch und die Bühne zwanzig Meter breit, dafür aber nur fünf Meter tief war. Das Theater wurde 1908 von Bernhard Sehring gebaut; mit seinem reinen Jugendstil ist es in Europa einmalig. Die Rekonstruktion zu DDR-Zeiten ist gelungen: Originale Formen wurden erhalten, notwendige Neugestaltungen dem Jugendstil angepaßt und die Bühnentechnik auf modernen Standard gebracht.

Der eigentliche Zeck meiner Reise ist die Amtseinführung des neuen Intendanten Christoph Schroth, der das Haus, das jetzt Staatstheater Cottbus heißt und das einzige mit diesem Status im Land Brandenburg ist, ab heute leitet. Während sich der Zuschauerraum mit den Beschäftigten des Hauses füllt, fällt mir die Festveranstaltung zur Eröffnung des rekonstruierten Hauses ein. Neben vielen anderen Genossen aus der Parteispitze war damals auch Kurt Hager anwesend. Er wurde auf übliche Weise hofiert und beklatscht. Der Intendant Johannes Steurich, ein strammer SED-Genosse, sonnte sich in seinem Ruhm als Hausherr. Ein ehemaliger Schauspieler versuchte die Pause der Festinszenierung vom „Rosenkavalier“ dafür zu nutzen, dem Genossen Hager einen Brief zu übergeben, in dem er ihn auf die Dauer der Bearbeitung seines Ausreiseantrages von mehr als vier Jahren aufmerksam machen wollte. Die Sicherheitsleute von Hager drängten den Bittsteller brutal ab, und Hager soll gesagt haben: „So lassen Sie doch den Bürger zu mir. Der tut mir doch nichts.“

Aber Schluß jetzt mit den alten Geschichten. Der amtierende Intendant hält die Einführungsrede und begrüßt erst einmal die anwesenden Honoratioren: den Kulturminister des Landes Brandenburg, den Oberbürgermeister der Stadt Cottbus, den Theaterreferenten des Landes Brandenburg und den Kulturdezernenten der Stadt Cottbus. Es erhebt sich donnernder Applaus. Im Anschluß werden die neuengagierten Kollegen vorgestellt und die langjährigen Mitarbeiter mit in Plastefolie eingewickelten Blumensträußen geehrt. Einziger Unterschied zu DDR-Zeiten: Es gibt außer Nelken auch noch andere Blumen.

Kulturminister Enderlein (SPD) stellt den Mann seiner Wahl vor. Er betont seine starke persönliche Überzeugung, mit der er die Entscheidung für Christoph Schroth getroffen hat. „Ich bin bereit, für dieses Theater zu kämpfen“, sagt er, „und ich verbinde meinen politischen Ruf mit dieser Aussage.“

Zum Oppositionellen stilisiert

Die Zusammenarbeit mit denjenigen, die das Sagen haben, hat Schroth schon immer gepflegt. In einem Interview, das er im Juli 1989 der Fachzeitschrift „Theater der Zeit“ anläßlich seines Weggangs aus Schwerin, wo er 15 Jahre lang Oberspielleitet und zeitweise amtierender Intendant gewesen war, sagte Schroth: „... Auf jeden Fall denke ich mit besten Gefühlen zurück an die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Leitungen im Bezirk.“

In der Rede des Ministers klingt es jedoch so, als hätte sich Christoph Schroth „als unbequemer Theatermacher“ ständig gegen Funktionäre einer Partei, deren Mitglied er war, zur Wehr setzen müssen. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, daß man ihm Anfang der siebziger Jahre eine „Yerma“-Inszenierung verbot und daß „Franziska Linkerhand“ in Schwerin nach dreißig Vorstellungen abgesetzt wurde. Aber so was konnte schnell passieren, das machte einen noch nicht zu dem Oppositionellen, zu dem Kulturminister Enderlein den Nationalpreisträger Schroth stilisiert.

In der oben genannten Zeitschrift finden sich, über die Jahre verteilt, noch mehr programmatische Äußerungen Schroths. Im Heft 5 des Jahres 1984 sah Schroth seine Aufgabe darin, „den Sozialismus stark zu machen, die Unverwechselbarkeit unserer Gesellschaftsordnung, unserer Werte, unserer Ideale in den Mittelpunkt unserer Theaterarbeit zu stellen und Nein zu sagen zu den Wertvorstellungen der benachbarten bourgeoisen Welt.“ In dieser bourgeoisen Welt leben wir ja nun mittlerweile alle.

Bei seiner Antrittsrede stellt Christoph Schroth vor, was im Saal sowieso schon alle wissen: die Spielplanvorhaben bis zum Ende des Kalenderjahres. Sein inhaltliches Konzept lehnt er an Lorcas „Theater der sozialen Aktionen“ an. Christoph Schroth möchte sein Theater als Seismograph verstanden wissen, in dem Haltung und Absicht klar ablesbar sind. Für die Leute und mit den Leuten will er Theater machen. Auch das wollte er schon immer: „... sozialistische Kulturpolitik über Theaterarbeit machen, dabei brauchen wir — und das ist keine Floskel — einen dauernden Kontakt mit dem Leben, mit der Arbeiterklasse, den Genossenschaftsbauern, der Jugend und mit den Genossen unserer Partei, um uns das Wissen über das Zusammenleben unserer Zeit anzueignen.“

Zum Thema Haltung sagt er im selben Text: „Auch in unserem Theater gibt es noch pazifistische Haltungen, gibt es Angst und Neigungen zum Pessimismus, aber nur auf dem Weg der offenen parteilichen Auseinandersetzung, über das Austragen von Widersprüchen auf der Grundlage unserer marxistisch- leninistischen Weltanschauung werden wir unser Weltbild, unsere Vorstellungen vom Zusammenleben der Menschen, unsere Werte durchsetzen können.“

Christoph Schroth sagt heute, daß „die Spuren unseres Lebens bleiben werden, die bequemen und die unbequemen“. Jahrgang 1937, studierte er übrigens zunächst Journalistik. Nachdem er für ein Jahr in die Produktion geschickt worden war, ging er als Regieassistent ans Berliner Maxim-Gorki-Theater, arbeitete später bei Besson an der Volksbühne und bei Schönemann in Halle, wechselte dann 1974 nach Schwerin. In den letzten drei jahren war er fester Regisseur am Berliner Ensemble.

Erst im November wird Christoph Schroth sein Konzept konkretisieren. Erste Entscheidungen über Kündigungen, so habe ich von den ehemaligen Kollegen erfahren, hat er noch vor der Sommerpause gefällt. Wie an allen DDR-Theatern gibt es auch in Cottbus Schauspieler, die man entlassen muß, um die unproduktive Starre aufzulösen und Platz zu schaffen für andere. Verständlich ist allerdings die Verbitterung der Betroffenen darüber, wie ein Intendant, der am 5. Juni berufen wird, innerhalb von zehn Tagen die Kündigungen rausschicken lassen kann, ohne alle Vorstellungen des Ensembles gesehen zu haben.

Ich blättere in den Werbematerialien, die zu Beginn der Pressekonferenz verteilt worden sind. Und da trifft mich dann doch fast der Schlag: Die Broschüre mit dem Titel „die fünfte“ — gemeint ist die 5. Spielzeit im neuen Haus — beginnt mit einer Doppelseite folgenden Aussehens: Rechts ist ein Farbfoto zu sehen, auf dem Kulturminister Jürgen Enderlein dem (dringlichst) verabschiedeten Intendanten Steurich Blumen überreicht und ihm innig die Hand schüttelt. Links stehen Auszüge aus der Verabschiedungsrede, in der er dem langjährigen Intendanten des Hauses für seine bleibenden Verdienste dankt: „Ich glaube, auch hier ist es eine ganz entscheidende Leistung des Intendanten, die Formen, die Darbietungen so ausgewählt und eingestellt zu haben, daß sie beim Publikum die ja auch von den Künstlern erwartete Resonanz fanden.“ Sagt er von einem Mann, der sich immer widerspruchslos den Anordnungen seiner Bezirksleitung gebeugt hat, der sich auf demütigende Weise in künstlerische Prozesse eingemischt und Schauspieler aus politschen Gründen kaltgestellt hat.

Ruf nach dem Alten

Eine alte Geschichte: 1984 gab es auch in Cottbus eine (sehr gute) Inszenierung von „Franziska Linkerhand“. Die wurde unter anderem im Rias gut besprochen. Leider fand sich in der Besprechung ein Satz, wonach die Inszenierung das sozialistische Wohnungsbauprogramm diffamiere. Aufgrund dieser Aussage nahm der Intendant die Inszenierung vom Spielplan. Das gesamte Ensemble wußte um die Vorgänge und versuchte, den Genossen Steurich zu einer Stellungnahme zu bewegen. Statt dessen verbot er den an der Arbeit beteiligten Genossen, in der Diskussion ehrlich Stellung zu beziehen. Die Versammlung wurde damals abgebrochen, weil verschiedene Kollegen den Raum verließen. Sie mußten am nächsten Tag bei Herrn Steurich antanzen und bekamen einen Verweis in ihre Personalakte.

Bis zur Abfahrt meines Zuges sitze ich noch mit ein paar alten Kollegen in der Kantine zusammen. Spannungen und wechselvolle Beziehungen gibt es am Theater immer. In meiner Cottbusser Zeit waren sie stark durch unterschiedliche politische Meinungen geprägt. Heute sind sie es durch den Unterschied, wer bleiben wird und wer nicht, und wann die nächsten Kündigungen kommen. So lange verhält man sich erst mal ruhig und sagt am besten nichts. Der schlimmste Satz, den ich gehört habe, lautete: Vielleicht hätten wir den alten Intendanten doch behalten sollen! Sibylle Burkert

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