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Gewagt und hoch gewonnen

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen spielte amerikanische Musik unseres Jahrhunderts in der Glocke

Nun sind sie also da, die Damen und Herren der Deutschen Kammerphilharmonie, die den Namen unseres 2-Städte-Staates in die Welt hinaustragen, seinen Klang aufpolieren und die Risse in unserem leicht maroden Kulturbetrieb übertünchen werden. Am Montag abend präsentierte sich das Ensemble in der ihren verblichenen Charme ausstrahlenden Bremer Glocke.

Ein Abend, von dem alle etwas hatten: Das Orchester, dem das hiesige Publikum ganz unbremisch ausdrucksstarke Beifallsstürme darbot. Der Dirigent Dennis Russel Davies, für den der gefüllte Saal eine späte Genugtuung sein mochte — immerhin hatten vor Jahren die Bremer Musikfreunde in zwei bemerkenswerten Konzerten mit dem Orchester der Beethovenhalle Bonn, in denen Beethoven mit der Musik unseres Jahrhunderts konfrontiert wurde - durch bemerkenswerte Abwesenheit geglänzt. Auch Gidon Kremer, dem großen Violinisten, wird es etwas gegeben haben, daß er erst das Abklingen von Verzückungskreischen einer FanIn hat abwarten müssen, eher er seinen Geigenzauber entfalten konnte. Und natürlich das Publikum — in für philharmonische Ereignisse ungewohnter Zusammensetzung: die sonst dominante Gruppe der weißhaarigen Schwachhauser Damen wurde fast völlig vom junggebliebenen akademischen Mitvierziger verdrängt; selbst einige alternative Musiklehrer konnten ausgemacht werden — deren Drang nach exklusiver Qualität und deren Neugier auf Ungewohntes voll befriedigt wurde. Nutznießer dürfte auch

Die Deutsche Kammerphilharmonie, jetzt endlich Bremen

das verbeamtete Musikleben in Bremen sein, dessen Qualität von der Spitzenkonkurrenz — wenn es den Kampf aufnimmt — nur profitieren kann.

Die neue Bremer Kammerphilharmonie stellte sich mit einem Programm amerikanischer Musik des 20. Jahrhunderts vor, selten in unseren Konzertsälen gehört, weil sie dem Klassikliebhaber etwas ordinär vorkommt und dem Avantgardefreund zu leicht konsumierbar ist.

Den Auftakt machte eine fremdvertraut klingende Suite für Violine, Klavier und kleines Orchester des kalifornischen Komponisten Lou Harrison. Chinatown scheint ihn inspiriert zu haben. Fernöstliche Klangwelten verbinden sich mit impressionistischer Tupfertechnik und

Orchester

wecken Assoziationen an den Hollywood-Film der späten 40er Jahre. Hektischer „multikultureller“ Straßenlärm wechselt sich ab mit meditativer Versenkung im Hinterhofgarten des China-Restaurants. Delikat und mit Witz wurde das gespielt, eine appetitanregende Vorspeise.

Ihr folgte ein massives, schwer im Magen liegendes Hauptgericht, C. Ives „Three Places in New England“, für großes Kammerorchester bearbeitet. Ives zeigt in drei musikalischen Bildern Vergangenheit und Gegensätze des nordamerikanischen Bürgerkriegs. Im ersten Bild lösen sich aus dem Nebel der Vergangenheit Marschkolonnen, die den Hörer brutal niedertrampeln. Anschließend zeigt er uns eine Art Volksfest am Heldengedenk

tag. Blaskapellen spielen auf, Yankee-Doodle und Marschmusik, dazwischen — daneben — mittendrin Walzer, Kinderlieder: Ein Klangchaos, das dem Freimarktsbesucher vertraut ist, der mit dem Lolly in der Hand über die Bürgerweide schlendert. Auch hier ist Nähe zum Film erkennbar. Totale und Ausschnitt, Inseln der Ruhe und bunter Trubel wirken wie eine brilliant geschnittene Kamerafahrt durchs Volksvergnügen. Ein Gedenken anderer Art schließt das Werk ab. Offenbar beim herbstlichen Spaziergang reflektiert der Komponist das Geschehen mit ruhigem Pathos.

Weit ab stilistisch wie zeitlich liegt Philipp Glass' Violinkonzert. Bewußt konstruiertes Nachdenken über prägende Vergangenheit ist seine Sache nicht. Musik wird zur Droge, die den Hörer im Rückenmark und in der Magengrube treffen will. Eine brilliante Mixtur aus Vivaldis Vier Jahreszeiten, Mendelsohns filigranem Violinkonzert, dem Geigenschülern verhaßten Violinetuden und Bruckners machtvoll aufgeblähten Klangwelten erzeugen einen überwältigenden Sog, der den durch den obligaten Sekt in der Pause geschwächten Hörer wehr- und hilflos mitriß. Ein schönes Beispiel für die Effizienz: Mit einem Minimum an musikalischer Substanz wir ein Maximum an emotionalem Erleben erzeugt.

Daß dies gelang, verdankt Glass der perfekten Wiedergabe, in der „cooles“, klar artikuliertes, präzis in Farben und Dynamik abgestuftes, von Russell Davies überlegen gesteuertes Orchesterspiel mit dem in allen Farben leuchtenden emotional aufgeheiztem Virtuosentum Gidon Kremers kontrastierte.

Den Schlußpunkt dieses Ausflugs in die Vereinigten Staaten von Amerika markierte Aaron Coplands Short Symphony, in der sich zerklüftete Melodie- und Rhythmusfetzen zu einem grandiosen Breitleinwandbildpanorama zusammenfügten. Die Musikszene Bremens ist fraglos bereichert. Inhaltliche Konzeption des Abends, interpretatorische Umsetzung und künstlerisches Engagement waren beispielhaft. Bleibt zu hoffen, daß uns weitere Ausflüge in ungewohnte musikalische Welten bevorstehen — und natürlich, daß sich das Bremer Publikum auch künftig verlocken läßt. Mario Nitsche

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