piwik no script img

Beamte und Arbeiter

■ Ausstellung: Nostitzstraße mit 12 Lebensläufen

Kreuzberg. Der Stoff des feuerroten Transparents sieht aus wie neu, auch die Parole »Gegen Mietwucher und Lohnraub« klingt aktuell. Daneben beweist ein Schwarzweißfoto aus den 30er Jahren, daß das Transparent schon über ein halbes Jahrhundert alt ist. »Einer unserer tollsten Funde«, sagt Cornelia Ganz vom »Geschichtskreis Kreuzberg Südwest«. Zusammen mit neun anderen Hobby-Historikern hat sie in halbjähriger Arbeit Material für die Ausstellung »Nostitzritze — eine Straße in Kreuzberg« — zusammengetragen, die jetzt im Kreuzbergmuseum zu sehen ist.

In seinem Roman »Kämpfende Jugend« von 1932 schildert der Kommunist Walter Schönstedt die Nostitzstraße als Zentrum der Arbeiterbewegung. In den dreißiger Jahren trafen sich Kommunisten in den sieben Kneipen der Straße und lieferten sich mit den nationalsozialistischen Stammtischen der Umgebung Straßenschlachten. Ein »rotes Pflaster« sei die Nostitzstraße trotzdem nicht gewesen, »in den Vorderhäusern wohnten oft kleine Beamte und nur in den Hinterhäusern Arbeiterfamilien«, erklärt Ganz. Nicht zufällig zieren klassizistische Stuckfassaden die ältesten Häuser.

Ein Dutzend der insgesamt 63 Häuser hat der Geschichtskreis mit Fotos und Archivmaterial dokumentiert. Manche Exponate zur Sozialgeschichte wirken beliebig, machen die Ausstellung aber lebendig: ein alter Waschzuber, eine Botanisiertrommel, ein rostiges Plätteisen und ein Kochbuch aus den dreißiger Jahren. »Unsere Ausstellung hat mit universitärer Forschung wenig zu tun, wir gehen von den Menschen aus«, sagt Lothar Uebel, studierter Historiker und Mitarbeiter des Geschichtskreises. Zwölf Lebensläufe von Zeitzeugen füllen die Schubladen der hohen Pappkommoden im Ausstellungsraum. Zwei Kommoden sind leer. »Die Besucher sollen sie selber auffüllen«, erklärt Cornelia Ganz. »Jeder Bewohner der Nostitzstraße hat eine besondere Einladung erhalten.« Miriam Hofmeyer

Ausstellung im Kreuzbergmuseum, Adalbertstraße 95, bis 31. Oktober, Donnerstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr, Schulklassen und Gruppen nach Vereinbarung. Eintritt frei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen