: Von Zombies und Hühnerfickern
■ Reiner Kröhnert parodiert unsere Politikerelite / Solo im Packhaus-Theater
Draußen, nachher, brauchte bloß einer das Wort „Bollwerk“ zu sagen, und schon prusteten die Umstehenden vor Lachen. Drinnen, währenddessen, war der mir unbekannte Stuhlnachbar vor Heiterkeit zeitweise so außer sich, daß er mir unentwegt die Schulter prügelte.
Reiner Kröhnert ist in der Stadt! Bekannt durch Funk und Fernsehn, präsentiert der begnadete Parodist und Kabarettist im Packhaus-Theater sein fast zweistündiges Solo-Programm „Reiner flog übers Kuckucksnest“. In der Klinik eines gewissen Dr.Kinski, auf der geschlossenen Station, ist die Politikerelite unseres Landes versammelt, sprich: eingesperrt; „draußen im Lande“ herrscht Anarchie.
Kröhnert beweist, daß politisches Kabarett, ach so oft gutgemeint, rechtschaffen und mit peinlichem Humor gewürzt, Spaß machen kann. Heidenspaß. Kann man noch über eine Genscher-Parodie lachen? Man kann!
Die Verwandlung Kröhnerts in Genscher, Blüm, Vogel oder Lambsdorff vollzieht sich vor aller Augen: Dr. Hyde in Mr.Jekyll. Am erschreckendsten gelingt es dem Schauspieler ohne Requisiten (lediglich eine Pfeife, ein Stock und ein Satz Ohren treten auf), sich in Manfred „Manni“ Wörner zu verwandeln: Die Gesichtszüge verrutschen, die Eck- bzw. Reißzähne werden bloßgelegt, ein perverses Stechen tritt in die Augen — ein Zombie, immer auf der Suche nach knackigen Jungs und explodierenden Granaten.
Therapeut ist Dödel Boris Becker. Den hat er drauf, da bleibt kein Auge trocken. Die unendlichen Redepausen des Jünglings, wenn die Denkmaschine knarzt, das Wegrutschen der Stimme Richtung Hochfrequenz, die einfältigen Wahrheiten. Rohrschach-Test, gruppendynamische Sitzung, Einzeltherapie: die Jungs (und Rita — man hört schier das Rascheln ihres knieumspielenden Kostüms, die Worte plumpsen wie Murmeln aus ihrem Mund) dürfen die Sau rauslassen. Nobbi ist Jesus, Genscher hat Dany den Shit geklaut und kann fliegen, Lambsdorff läßt den Frust über die schmierigen Proleten ab, deren verpesteten Atem er beim Wahlkampf inhalieren muß. Cohn-Bendit tobt gegen alle, vornehmlich seine eigenen bourgeoisen Anwandlungen. Engholm beschwichtigt.
Kohl indes will Kröhnert nie so recht gelingen: das fettlippig- Bräsige scheint dem Leptosomen zu fern. Doch Stoltenbergs geronnene Verschmitztheit (die offensichtlich falsche Zähne!) und Vogels künstliches Temperament und gewalttätiger Frohsinn: 1a. Natürlich kommt auch ein Reiner Kröhnert, will er zwei Stunden Lacher, nicht ohne den billigen Wortwitz (“marktwirtschaftliche Butterbergpredigt“) und das Minderheitenprogramm aus: „Als ich an mir runtersah — ich brauchte nicht weit zu schauen“ (Blüm). Volker Rühe als Hühnerficker ist ebenso garantierter Heiterkeitsborn wie der perverse Militarist Manni. Der liegt übrigens in einem Doppelbett mit Dany — die Besucherritze hat er vermint.
Zu großer Form läuft Kröhnert auf, wenn seine Figuren zusammen auftreten, er also fliegenden Rollenwechsel vornehmen muß. Und plötzlich spürt man, daß der freche und bodenlose Haß, mit dem die Personen in ihre Karikaturen gezwängt werden (Autritt Dr, Kinski: Gnade Gott!) auf einer soliden Basis inniger Liebe zu den Geschmähten sitzt. Die schärfste Macke, der schrägste Akzent, die böseste Eigenart: Stoff, von dem der Parodist lebt. Womöglich gar die Politik.
Und darum würde mich gar nicht wundern, wäre in derselben Nacht ein Trüppchen Zuschauer gen Moabit aufgebrochen, einen prominenten Gefangenen zu befreien. Der Auftritt Honecker (“Liiiiebe Genossnnnossen ... geliebte Mauer ... Bollwerk gengdie internkapitlrevanschste Verschwörung...“), von wieherndem Lachen begleitet, bewies einmal mehr: Honni ist unverzichtbar — bei Strafe der Politikverdrossenheit. Bus
Weitere Auftritte: tgl. 20 Uhr, Theater im Packhaus, bis 6.9.
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