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Stolpes Dialog mit Cottbus' braven Bürgern

Manfred Stolpe besucht die Einwohner von Cottbus-Sachsendorf, wo inzwischen regelmäßig Asylbewerber angegriffen werden/ Das Gespräch geht ihm über alles — Widerspruch müssen Bürger und Rassisten nicht befürchten  ■ Aus Cottbus Matthias Geis

In Cottbus ist der Dialog gestört. Seit Wochen schon. Neunhundertneunzig Asylbewerber halten sich nicht an die Ordnung — die überwiegende Mehrheit der Bürger im Stadtteil Sachsendorf ist nicht länger bereit, das hinzunehmen. In drei aufeinanderfolgenden Gewaltnächten haben jetzt rechtsradikale Rassisten, Ausländerfeinde, unzufriedene Jugendliche den Dialog mit anderen Mitteln wieder aufgenommen: Mit Brandflaschen und Steinen haben sie das Asylbewerberheim im Vorort Sachsendorf angegriffen. Drei Nächte, die die Einwohner von Sachsendorf um ihren Schlaf gebracht haben. Seitdem droht Cottbus zum Rostock Brandenburgs zu werden. „In wenigen Tagen ist Cottbus berüchtigt geworden. Es ist ein Bild von Cottbus entstanden, wie wir es nicht haben wollen.“ Manfred Stolpe ist beunruhigt über dieses Zerrbild. Alle müssen wieder mit allen reden. Deshalb ist der Ministerpräsident am Mittwoch abend „ganz spontan“ nach Sachsendorf gefahren.

Die Aula der 8. Gesamtschule, wenige hundert Meter vom Asylbewerberheim entfernt, quillt über an diesem Abend. Fast alle sind gekommen: die um den Schlaf gebrachte Rentnerin, die Bürger, die nichts gegen Ausländer haben, wohl aber gegen die tägliche Plünderung ihrer Mülltonnen, arbeitslose Jugendliche und ein paar, die noch auf eine „gemeinsame Lösung“ hoffen, der Heimleiter, die Ausländerbeauftragte des Landes, der Polizeipräsident. Der Oberbürgermeister: Er sieht durch „zweihundert Randalierer“ den Aufbau seiner Stadt gefährdet. Das muß nicht sein. „Wenn sich die Ausländer unseren Lebensgewohnheiten anpassen, wenn sie nicht provozieren“, dann sollten sich im Gegenzug die Bürger bereit finden, „denen das Wohnen auch hier in Cottbus zu erleichtern“. An diesem Abend provoziert keiner. Asylbewerber sind nicht im Raum.

Drei Stunden lang, hemdsärmelig, durch nichts zu erschüttern, unnahbar-bürgernah steht der Ministerpräsident vor den Sachsendorfern: „Ich agitiere hier nicht, ich werbe hier für kleine Schritte.“ Der kleinste Schritt, davon ist Stolpe überzeugt, ist das Gespräch: „Wenn wir dem Gespräch ausweichen, besteht die Gefahr, daß irgendwann geschossen wird, und dann haben wir den Bürgerkrieg“, beschwört er drastisch die Perspektive.

Das kann er haben. Vorab: „Wir sind nicht ausländerfeindlich. — Es geht ausschließlich um die Rumänen und Zigeuner. Die Rumänen, das geht den ganzen Tag“ — „Ihr Schweine, räumt das weg.“ Die Rentnerin, die da — „konkret“ — von ihren Erfahrungen berichtet, hat längst resigniert: „Man hätte viel eher reagieren müssen, nicht erst jetzt, wo wir im Dreck stecken.“ — Manfred Stolpe will das gar nicht kommentieren, erstmal findet er es „wichtig, daß klar und deutlich benannt wird, was die Nöte hier sind“.

Über deren Ursachen hat er bereits eingangs kurz referiert, eine Variante seiner Regierungserklärung, die er am Morgen im Potsdamer Landtag gehalten hat: „Was da passiert ist in den letzten Tagen, ist ein Barometer der Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation.“ Die Asylbewerber sind nur der Tropfen, der das Faß jetzt zum Überlaufen bringt, ein Anlaß, „den man nicht auf die Formel Ausländerhaß bringen darf“. Pointiert gesagt, „die, die das machen sind die Sensibelsten, tief enttäuschte, verunsicherte Menschen“. Hier in Cottbus sind die „sozialen Nöte zusammengefallen mit einer Überforderung im Zusammenhang mit dem Asyl“. Die Gewalttaten, „das Schlimmste, was hier seit '45 passiert ist“, dürfen nicht hingenommen werden. Jetzt aber geht es darum, was man konkret tun kann, das Leben aushaltbar zu gestalten. Denn „das Asylrecht gilt“; doch „vielleicht“, räsoniert Stolpe, „müssen wir damit strenger umgehen“. Auch der Ministerpräsident sieht Brandenburg „am Rande der Kapazitäten“. Trotzdem, „wir werden die Gastfreundschaft mit denen, die sich hier nach unseren Regeln bewegen, fortzuführen haben“.

Doch da genau liegt das Problem. Die einsame Frage aus dem Publikum, warum sich die Deutschen „mit allen, die ein wenig anders sind, so schwer tun“, findet wenig Resonanz. Auch der Heimleiter, der über seine Versuche berichten will, die Asylbewerber für öffentliche Arbeiten einzusetzen, wirkt irgendwie deplaziert. „Wir sind nicht gegen Asyl, aber gegen den Dreck.“ Kinder würden belästigt, Fahrräder geklaut, Straßenbahnen ohne Fahrschein benutzt... All das muß auch an diesem Abend herausgepreßt werden. „Vor Kohls Bonner Villa müßte mal einer hinscheißen“ — auch für diesen Beitrag weiß sich Stolpe zu bedanken. Ihn bringt nichts aus der Fassung, keine Emotionen, keine Schärfen, kein Widerspruch.

Selbst für den Chef der „Deutschen Alternative“, einer rechtsradikalen Vereinigung, die in Cottbus ihre Hochburg hat, bittet Stolpe um Ruhe. Der distanziert sich von den Gewaltausbrüchen. Aber wenn „Tausende Bürger“ auf die Straße gingen, sei die Deutsche Alternative mit dabei. Immer gewaltfrei. Stolpes Toleranz geht weit an diesem Abend. Auch den rechtsradikalen DA-Chef Hübner, der stolz-versteinert das Interesse der Medien genießt, nimmt Stolpe „beim Wort“. Nicht vorab mit Verdächtigungen und Unterstellungen reagieren! Denn „wir haben keine andere Chance als den Dialog“. Das findet auch Hübner. Der Schulleiter der Gesamtschule steht im Gespräch mit ihm. Seitdem, so weiß der zu berichten, „geht es in der Schule gewaltfrei zu“. Da will Stolpe nicht abseits stehen: „Wir gehen hier nicht, ohne daß wir uns verabredet haben“, verspricht er dem DA-Chef.

Verdorben hat es sich Stolpe mit niemandem an diesem Abend. Souverän überspielt er die Untiefen der Veranstaltung. Er läßt reden, nimmt ernst, moderiert. Am Ende verkündet er die Ergebnisse des Abends: Zwei Turnhallen wird das Land in Ordnung bringen, die Asylbewerber kriegen eine Telefonzelle, die Polizei ihre mobile Wachstation... „Alles in allem neun Punkte, sie haben es gehört.“ Denn von einer Sache ist Stolpe „zutiefst überzeugt: Die Zukunft haben wir hier selbst in der Hand.“

In dieser Nacht brennt in Kerzin, Brandenburg, wieder ein Asylbewerberheim.

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